Demenz-Erkrankungen: Die Prävention muss es weiter richten
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Neue Daten aus den USA stärken der Prävention von Demenz-Erkrankungen den Rücken. Noch nicht im klinischen Alltag angekommen sind dagegen nicht-invasive Stimulations-Verfahren zur Behandlung der Alzheimer-Demenz.
Da die großen Erfolge in der Entwicklung wirksamer Antidementiva noch immer auf sich warten lassen, trommeln Demenz-Forscher und Gesundheitspolitiker seit Jahren für die Prävention von Demenz-Erkrankungen, insbesondere durch mehr Bewegung, soziale Aktivitäten, so genannte gesunde Ernährung und auch pharmakologische Modifikation von Risikofaktoren wie Bluthochdruck. Neue Studiendaten stützen nun diese Bemühungen. Hoffnungen setzen Neurowissenschaftler außerdem auf nicht-invasive Verfahren der Neuromodulation. In der klinischen Praxis der Demenz-Therapie, insbesondere bei Alzheimer-Kranken, spielen diese Verfahren derzeit allerdings keine Rolle.
Der epidemiologische Hintergrund für die Bemühungen ist bekannt: Die Zahl demenzkranker Menschen werde weltweit und auch in Deutschland weiter dramatisch zunehmen – wenn nicht gegengesteuert werde, so die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in einer Mitteilung zum heutigen Welt-Alzheimertag. Dass ein Gegensteuern prinzipiell möglich sei, zeige erneut eine Studie aus den USA, die ermittelt habe, wie viele Demenzfälle sich verhindern ließen, wenn die bekannten modifizierbaren Risikofaktoren konsequent minimiert würden.
Die Studie untersuchte am Beispiel Kalifornien, ob nationale Schätzwertewerte zur Inzidenz und deren Verbesserungspotenzial auf andere Staaten oder Regionen übertragen werden können. Analysiert wurden Daten von Teilnehmern (>18 Jahren) der BRFSS-Erhebung („Behavioral Risk Factor Surveillance System“) der gesamten USA (n=378.615) sowie separat aus Kalifornien (n=9836). Für acht bekannte Demenz-Risikofaktoren (körperliche Inaktivität, Rauchen, Depression, niedriger Bildungsstand, Diabetes mellitus, Adipositas oder Bluthochdruck im mittleren Lebensalter und Schwerhörigkeit) wurde das bevölkerungsbezogene attributable Risiko ermittelt, also der Anteil Erkrankter, der auf den jeweiligen Faktor zurückzuführen ist. Man ging dabei von einer erreichbaren Reduktion der wichtigsten Risikofaktoren um 25% aus.
Ein Drittel der Demenz-Fälle vermeidbar?
Ergebnisse: In Kalifornien gingen insgesamt fast 29 Prozent der Demenz-Fälle zu Lasten einer Kombination von Risikofaktoren, in den gesamten USA sogar knapp 37 Prozent. Die drei bedeutendsten Risikofaktoren waren schlechter Bildungsstand, Adipositas im mittleren Lebensalter und körperliche Inaktivität. Daher sollten vor allem diese drei auch zum Ziel für Interventionen gewählt werden, heißt es in der Mitteilung der Fachgesellschaft.
Neurostimulation vielleicht in der Zukunft eine Option
Im Gegensatz zu Demenz-Prävention sind die therapeutischen Möglichkeiten weiterhin sehr eingeschränkt oder sogar noch in einem experimentellen Stadium wie die Verfahren der nicht-invasiven Neuromodulationen. Sie seien vor allem bei der Alzheimer-Demenz (AD) ein vielversprechender Ansatz, so Ronja V. Faßbender von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Köln und ihre Kollegen in einem Übersichtsbeitrag zu Stimulationstherapien bei Demenz-Erkrankungen (Fortschr Neurol Psychiatr).
Nicht-invasive Verfahren der Neuromodulation
Grundlegend werden zwei Arten der nicht-invasiven Hirnstimulation unterschieden – die transkranielle elektrische Stimulation (transcranial electrical stimulation; tES) und die transkranielle Magnetstimulation (TMS), wie Ronja V. Faßbender und ihre Mitautoren erklären.
Im Falle der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) durchfließe ein elektrischer Strom die oberhalb des Schädels lokalisierten Magnetspulen. Die hierdurch entstehenden Magnetimpulse würden an die darunterliegende Hirnregion abgegeben, wodurch elektrische Ströme im Gehirn induziert und somit Aktionspotentiale in den im Stimulationsfeld befindlichen Neuronen ausgelöst würden.
Studien hätten gezeigt, dass sich die rTMS (repetitive TMS) bei Patienten in unterschiedlichen Stadien der AD positiv auf die globale Kognition, sprachliche Funktionen sowie Gedächtnisfunktionen auswirke. Darüber hinaus hätten Studien zum kombinierten Einsatz von rTMS und einem kognitiven Training übereinstimmend eine verbesserte globale Kognition gezeigt. Positive Effekte seien bis zu sechs Monate nach Stimulationsende erhalten geblieben. Zudem scheine die Kombination von rTMS und kognitivem Training besser zu sein als eine isolierte Anwendung. Wegen fehlender Kontrollgruppen müsste die Studien jedoch mit Vorsicht interpretiert werden.
Bei der transkraniellen elektrischen Stimulation wird laut Ronja V. Faßbender und ihren Kollegen ein elektrischer Strom über eine Elektrode (Anode) durch das Gehirn hin zu einer zweiten Elektrode (Kathode) geleitet wird. Der das Gehirn durchfließende Strom moduliere die neuronale Aktivität der unter den Elektroden befindlichen Neurone abhängig von Konfiguration und Intensität des Stroms sowie der Dauer der Anwendung.
Transkranielle Gleichstromstimulation: die am meisten untersuchte Methode
Hinsichtlich der Konfiguration unterscheide man bei der tES die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS, transcranial direct current stimulation), die transkranielle Wechselstromstimulation (tACS, transcranial alternating current stimulation) und die transkranielle Rauschstromstimulation (tRNS, transcranial random noise stimulation). Durch die verschiedenen Strommuster könnten unterschiedliche neuronale und somit auch behaviorale Effekte erzielt werden.
Die verbreitetste und am meisten untersuchte Methode sei die tDCS, bei der ein schwacher kontinuierlicher Strom verwendet werde. Studien mit Patientinnen und Patienten in unterschiedlichen AD-Stadien zeigten positive Effekte der tDCS auf die episodische Gedächtnisleistung. In einer Studie mit 201 Patientinnen und Patienten mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung (MCI) sei gezeigt worden, dass die kombinierte Anwendung von tDCS und Gedächtnistraining noch acht Wochen nach der letzten Inter- vention zu einer signifikant verbesserten Gedächtnisleistung geführt habe.
Bei der transkraniellen Wechselstromstimulation werde ein sinusförmiger Wechselstrom einer bestimmten Frequenz auf das dar- unterliegende Cortexareal appliziert, um endogene Hirnoszillationen in ihrer Amplitude oder Frequenz zu modulieren. Bislang existiere nur eine Studie zur Wirkung der tACS bei AD. Den Autoren zufolge konnte im Vergleich zur Scheinstimulation eine signifikante Verbesserung der Gedächtnisleistungen sowie eine Wiederherstellung der intrakortikalen Konnektivität, gewertet als Surrogatmarker der cholinergen Neurotransmission, beobachtet werden.
Positive Effekte bei transkranieller elektrischer Stimulation und Magnetstimulation
Sowohl TMS als auch tES zeigen den Autoren zufolge positive Effekte auf die kognitiv-mnestische Leistungsfähigkeit bei Patienten mit AD. Besonders vielversprechend scheine die Modulation endogener Hirnoszillationen mittels Burst-Stimulation oder tACS zu sein, da bei der AD die Aktivität innerhalb bestimmter Frequenzbänder pathologischen Veränderungen unterliege, was mit dem Krankheitsfortschritt und den zunehmenden Einbußen der kognitiven Leistungsfähigkeit korreliere. Leider existieren kaum Studien zu tACS oder Burst-Stimulation bei AD.
Durch die unterschiedlichen Wirkmechanismen der tES und TMS ergäben sich verschiedene Vor- und Nachteile beider Verfahren. Die rTMS könne tiefer in den Schädel eindringen und erlaube aufgrund der erhöhten räumlichen und zeitlichen Spezifität eine kontrolliertere, konsistentere und gezieltere Stimulation. Ein weiterer wichtiger Unterschied der beiden Verfahren bestehe darin, dass bei der tES wegen der Verwendung von Anode und Kathode verschiedene Zielregionen gleichzeitig stimuliert und ge- hemmt werden könnten, was vorteilhaft für die Wirkung der Stimulation sein könne. tES- Verfahren hätten außerdem den Vorteil, dass sie kostengünstig, portabel, zu Hause anwendbar und leicht mit Training oder Rehabilitation kombinierbar seien.
Transkranielle Pulsstimulation: viel Werbung, wenig Evidenz
Ein weiteres experimentelles nicht-invasives Verfahren zur Therapie von Alzheimer-Kranken ist die Transkranielle Pulsstimulation (TPS). Sie werde, trotz unzureichender Datenlage, bereits als neue, scheinbar „bahnbrechende“ Therapiemethode angepriesen, kritisierte kürzlich die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung. Unter Federführung von Vorstandsmitglied Prof. Ulf Ziemann (Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie und Co-Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen) hat die Dachgesellschaft die Datenlage zur TPS bewertet. Das Resümee: „Es erscheint verfrüht, die TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung oder anderer Erkrankungen des Gehirns anzusehen und zu bewerben“.
Entwickelt haben die TPS Forscher der Universitätsklinik für Neurologie in Wien gemeinsam mit der Firma Storz Medical AG. Die neue Therapie soll die Regeneration des Gehirns stimulieren. Laut Aussage der Studienautoren sei es damit „weltweit erstmalig möglich, mit einem Ultraschall-Puls direkt am Schädelknochen, nicht invasiv, schmerzfrei und bei vollem Bewusstsein in alle Bereiche des Gehirns vorzudringen und dort ganz gezielt Hirnareale anzusteuern und diese zu aktivieren“. Auf der Website der „Ärztlichen Interessensgemeinschaft Alzheimer-Demenz-Therapie“ unter www.alzheimer-deutschland.de und in einigen überregionalen Medienberichten in Deutschland werde die Methode bereits als „wirksam und sicher“ sowie „bahnbrechend“ bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum gibt es laut der Mitteilung der Fachgesellschaft bereits mehr als 42 Behandlungsstandorte, 33 davon in Deutschland.
Die Transkranielle Pulsstimulation ist eine gepulste ultraschallbasierte Methode zur nicht-invasiven Stimulation des Gehirns. Eine spezielle Ultraschallsonde emittiert sehr kurze (30 µs) Ultraschallpulse mit einer typischen Frequenz von 5 Hz. Dem TPS-Konzept liegt eine mehr als zehnjährige Forschungstätigkeit der Arbeitsgruppe um Professor Roland Beisteiner von der Universitätsklinik für Neurologie und Psychiatrie der Medizinischen Universität Wien zugrunde. Seit 2019 wurden die Forschungsdaten zur TPS in sechs wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht.
Vier der Studien beruhen laut DGKN auf Untersuchungen an ein und derselben kleinen Kohorte aus 35 Probanden mit wahrscheinlicher Alzheimer-Erkrankung. Bei diesen Probanden sei die TPS über 2‒4 Wochen (3 Sitzungen pro Woche, 6000 Pulse/Sitzung, Stimulation von individuell festgelegten Regionen des „Alzheimer-Netzwerks“ inklusive des dorsolateralen präfrontalen Kortex und des Default Mode Netzwerks) appliziert worden (Brain Therapy. Adv Sci).
Die Wissenschaftler hätten signifikante positive Wirkungen auf neurokognitive Leistungen beobachtet, die über drei Wochen stabil geblieben seien. Gemessen wurden diese mit einer standardisierten neuropsychologischen Testbatterie zur Erfassung kognitiver Defizite bei Alzheimer-Patienten (CERAD, Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease, korrigierter Gesamtscore). Allerdings seien außer positiven Effekten in den kognitiven Domänen „Gedächtnis“ und „verbale Funktionen“ auch negative Effekte auf visuo-konstruktive Leistungen beobachtet worden, berichtet die Fachgesellschaft. Drei weitere Publikationen der Arbeitsgruppe beziehen sich auf Sekundäranalysen von Daten dieser Primärstudie.
Aussagekraft der Studien-Daten wird bezweifelt
Mehrere Kritiker, darunter die Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft und Wissenschaftler unterschiedlicher Universitäten, zweifeln laut DGKN an der Aussagekraft der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie. Auch die DGKN sieht die neue Methode kritisch, und zwar aus folgenden Gründen:
- Es gebe nur eine einzige Pilotstudie, die bislang zum Thema therapeutische Wirkung von TPS auf Patienten mit Alzheimer-Erkrankung publiziert worden sei. Diese basiere auf einer kleinen Probanden-Gruppe und habe keine Kontrollgruppe. Somit könne zum aktuellen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei den beobachteten Wirkungen um Placeboeffekte gehandelt habe.
- Im Zeitalter evidenzbasierter Medizin seien genauso wie für den Wirksamkeitsnachweis neuer medikamentöser Therapien auch für medizintechnische Therapien multizentrische, randomisierte, kontrollierte doppelt-verblindete Phase-II/III-Studien mit einem signifikanten Ergebnis für den primären Wirksamkeitsendpunkt zu fordern.
- Alle bisher publizierten Untersuchungen zur TPS kommen laut DGKN zudem von der selben Arbeitsgruppe.
- Außerdem seien die biologischen und neurophysiologischen Wirkungen der Methode bislang nur rudimentär untersucht, mit Ausnahme einiger präklinischer Daten an Ratten sowie der o. g. fMRT-Daten und einer Studie zu somatosensorisch evozierten Potenzialen bei Gesunden.
- Die Patienten seien nur für drei Monate nachbeobachtet worden, „so dass die bei voranschreitenden neurodegenerativen Erkrankungen wichtige Frage nach der Dauer der beobachteten Therapieeffekte nicht adressiert wurde“.
Ziemanns Fazit: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so gibt es derzeit definitiv noch keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen Methode. Es ist daher aktuell nicht gerechtfertigt, TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung oder anderer Erkrankungen des Gehirns anzusehen und zu bewerben.“
So sieht dies offenbar auch die Arbeitsgruppe um Ronja V. Faßbender: „Aufgrund der fehlenden Kontrollbedingung im Sinne einer Scheinstimulation, der kleinen Kohorte und bei mono-zentrischem Design kann zum jetzigen Zeitpunkt der therapeutische Nutzen der TPS nicht sicher beurteilt werden.“ Insgesamt seien die verschiedenen Verfahren zur nicht-invasiven Neuromodulation jedoch vielversprechende Ansätze zur Behandlung in frühen Stadien der Alzheimer-Erkankung.
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