In Diskussionen um die beste Pandemie-Strategie liegt der Fokus meist auf Infektions- und Sterberaten, auf den Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche sowie für kleine wie große Unternehmen. Nur hin und wieder erhalten die Langzeit-Folgen von COVID-19 ausreichend Beachtung, obgleich sie für die Betroffenen, für das Gesundheitswesen und für die gesamte Volkswirtschaft ebenfalls von langfristig erheblicher Bedeutung sind. Es wird geschätzt, das rund zehn Prozent der COVID-19-Patienten lang anhaltende Beschwerden haben. Möglicherweise ist der Anteil der Betroffenen aber noch größer.
Langzeit-Folgen seit langem bekannt
Dass ein Teil der COVID-19-Patienten auch nach der Akutphase der Infektionskrankheit und Klinik-Entlassung noch erhebliche Beschwerden hat, ist bereits vor Monaten berichtet worden. So wies im Juni 2020 zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin darauf hin, dass auch nach Abklingen der Infektion die Lungenfunktion und die körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein können; einige „genesene“ Patienten benötigten daher nach der Akutphase der Erkrankung eine fachkundige Nachsorge und Rehabilitation durch erfahrene Pneumologen. Die Fachgesellschaft veröffentlichte daher bereits recht früh „Empfehlungen zur pneumologischen Rehabilitation bei COVID-19".
Besonders häufig: Müdigkeit
Inzwischen liegen viele Beobachtungsstudien vor, die bestätigen, dass nicht alle genesenen COVID-19-Patienten wirklich gesund sind oder sich gesund fühlen. Zu den aktuellen Studien zählt etwa eine Veröffentlichung von chinesischen Forschern. Sie analysierten die Gesundheitsdaten von mehr als 1700 ehemaligen Corona-Patienten, die zwischen dem 7. Januar und dem 29. Mai 2020 aus einem Krankenhaus in Wuhan entlassen wurden. Ergebnis der im „Lancet“ veröffentlichten Studie: Drei Viertel der im Mittel 57 Jahre alten Patienten klagten sechs Monate nach der Entlassung immer noch über Symptome wie Müdigkeit und Schlafstörungen. Am häufigsten berichteten sie über Müdigkeit (63 Prozent) und Schlafstörungen (26 Prozent). Bei 13 Prozent der Patienten wurden außerdem nach der Klinik-Entlassung erstmals Nierenfunktionsstörungen diagnostiziert.
Langzeitfolgen sind wohl auch möglich, wenn die Erkrankung milde oder sogar symptomlos verläuft. Das zeigt eine andere Studie, Ende Dezember als Preprint veröffentlicht, die von einer Autorengruppe mit dem Namen „Patient-Led Research for Covid-19“ initiiert wurde; dabei handelt es sich um eine Gruppe von Langzeit-COVID-19-Patienten, die wissenschaftlich tätig sind. Von den 3762 Studienteilnehmern aus 56 Ländern waren nicht einmal zehn Prozent stationär behandelt worden. Etwa ein Drittel der Befragten war zwischen 40 und 49 Jahren alt, jeweils etwas mehr als ein Viertel zwischen 30 und 39 sowie zwischen 50 und 59 Jahren. Auch hier hatten viele Betroffene - rund zwei Drittel - noch Monate später Symptome. Die meisten klagten über anhaltende Müdigkeit (78 Prozent), 55 Prozent über kognitive Beeinträchtigung. Fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent) gab an, weniger als zuvor arbeiten zu können, ein Fünftel war abeitsunfähig.
Erst vor wenigen Tagen hat, wie berichtet, ein Autorenteam aus den USA, Schweden und Mexiko die Ergebnisse einer Metaanalyse von 15 Studien veröffentlicht: Die Nachbeobachtungszeit lag zwischen 14 und 110 Tagen nach der Virusinfektion. Das Alter der Studienteilnehmer lag zwischen 17 und 87 Jahren. Es wurde geschätzt, dass 80% der mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten ein oder mehrere Langzeitsymptome entwickelten. Die fünf häufigsten Symptome waren Müdigkeit (58%), Kopfschmerzen (44%), Aufmerksamkeitsstörung (27%), Haarausfall (25%) und Atemnot (24%).
Beunruhigend: kognitive Störungen
Auf Symptome, die über die Akutphase hinaus anhalten, haben mehrfach auch Neurologen und neurologische Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hingewiesen. „Bei vielen Betroffenen verbessern sich die neurologischen Symptome zwar im Laufe der Zeit, aber wir haben auch Patienten, die bereits in der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 erkrankten und bis heute nicht beschwerdefrei sind“, so Professor Peter Berlit, DGN-Generalsekretär, in einer Pressemitteilung der Fachgesellschaft. COVID-19 gehe häufig bereits während der Akutphase mit neurologischen Symptomen einher, hieß es in der Mitteilung. Typisch seien Geruchs- und Geschmacksstörungen, aber oft träten auch Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und das Fatigue-Syndrom auf. Darüber hinaus kämen Enzephalopathien gerade bei schweren Verläufen recht häufig vor. Auch lebensbedrohliche neurologische Komplikationen könnten während oder direkt nach der Infektions-Erkrankung auftreten. Zu den großen Sorgen zählt dabei die, dass COVID-19 langfristig zu Demenz-Symptomen führen oder die Prozegression neurodegenerativer Erkrankungen fördern könnte. Dies ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, etwa im NAPKON-Projekt (Neurologie im Nationalen Pandemie Kohorten Netz). Gesicherte Antworten auf viele Fragen wird es möglicherweise jedoch erst in einigen Jahren geben - wenn überhaupt.
Prophylaxe kein „Ding der Unmöglichkeit"
Zum Glück gibt es Chancen, das Risiko für Langzeit-Komplikationen zu reduzieren. Die beste Prophylaxe ist natürlich eindeutig die, sich erst gar nicht zu infizieren. Die „Säulen“ dieser Prophylaxe sind bekannt: Kontaktreduzierung, Schutzmasken, physischer Abstand und seit wenigen Wochen auch eine Impfung. Wer noch mehr machen will, sollte Sport treiben. Dadurch kann er sich zwar nicht vor einer Infektion schützen, aber das Risiko eines schweren und potenziell tödlichen Verlaufes reduzieren. Und nach einer überstandenen Erkrankung kann Sport, wie bereits berichtet, mit dazu beitragen, wieder halbwegs fit zu werden. Sport beugt schweren Verläufen vor, indem er zum Beispiel den Risikofaktoren dafür entgegenwirkt. Dazu zählen ausser Armut, männlichem Geschlecht und höherem Alter insbesondere starkes Übergewicht, Diabetes mellitus und kardiovaskuläre Erkrankungen. Zudem stärkt körperliches Training die körpereigenen Abwehrkräfte.
Dieser Volltext ist leider reserviert für Angehöriger medizinischer Fachkreise
Sie haben die Maximalzahl an Artikeln für unregistrierte besucher erreicht
Kostenfreier Zugang Nur für Angehörige medizinischer Fachkreise