Das Suizidrisiko ist bei Jugendlichen nachts am höchsten

  • Megan Brooks
  • Medizinische Nachrichten
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Das Suizidrisiko bei jungen Menschen scheint einem Tagesmuster zu folgen und nachts zuzunehmen, wie neue Forschungsergebnisse zeigen.

Wissenschaftler haben festgestellt, dass Suizidgedanken und -versuche morgens am niedrigsten und abends am höchsten waren, insbesondere bei Jugendlichen mit einer höheren Neigung zu selbstkritischem Grübeln.

„Dies sind vorläufige Ergebnisse, und wir benötigen weitere Daten, aber sie lassen erkennen, dass es möglicherweise einen Unterstützungsbedarf gibt, insbesondere in der Nacht, insbesondere in Bezug auf selbstkritisches Grübeln im täglichen Leben von Jugendlichen“, sagte die leitende Forscherin, Dr. Anastacia Kudinova vom Department of Psychiatry and Human Behavior der Alpert Medical School der Brown University in Providence (Rhode Island, USA).

Die Ergebnisse wurden bei der Late-Breaker-Veranstaltung auf der SLEEP 2023, der 37. Jahrestagung der Associated Professional Sleep Societies, vorgestellt.

Dringender Bedarf

Suizidgedanken sind ein „robuster“ Prädiktor für suizidales Verhalten, und laut Kudinova haben „erschreckenderweise“ sowohl Suizidgedanken als auch suizidales Verhalten zugenommen.

„Es besteht ein dringender Bedarf, zeitliche Risikofaktoren für Suizid zu beschreiben, damit wir auf der Zeitskala von Wochen, Tagen oder sogar Stunden erkennen können, wer ein größeres Suizidrisiko aufweist“, berichtete sie.

Die Forschenden fragten 165 Jugendliche im Alter von 11 bis 18 Jahren (72 % weiblich), die in eine psychiatrische Klinik aufgenommen worden waren, nach der Tageszeit ihres letzten Suizidversuchs.

Mehr als die Hälfte (58 %) gab an, dass es abends und nachts war, erst danach folgten tagsüber (35 %) und morgens (7 %).

Sie beurteilten zudem den Zeitpunkt von Suizidgedanken zu Hause bei 61 Jugendlichen im Alter von 12 bis 15 Jahren (61 % weiblich), die nach der Einweisung in eine psychiatrische Tagesklinik wieder nach Hause entlassen wurden.

Sie taten dies mithilfe der Messstrategie EMA (Ecological Momentary Assessments), die über zwei Wochen dreimal täglich angewendet wurde. Mit EMAs werden die Gedanken und Verhaltensweisen von Menschen im Alltag untersucht, indem wiederholt Daten in der normalen Umgebung einer Person erhoben werden, und zwar möglichst nahe am Zeitpunkt, an dem sie ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen.

Wie bei der anderen Stichprobe kam es auch bei den Jugendlichen in dieser Stichprobe später am Tag signifikant häufiger zu Suizidgedanken (p < 0,01).

Zudem hatte Selbstkritik einen signifikanten Moderatoreffekt (p < 0,01), sodass selbstkritischere Jugendliche im höchsten Maße später am Tag Suizidgedanken hegten.

Echte Abweichung oder eine Frage der Praktikabilität?

Dr. med. Paul Nestadt von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore (Maryland, USA) merkte auf Anfrage an, dass sich EMA „zu einer interessanten Möglichkeit entwickelt, um feine zeitliche Abweichungen bei Suizidgedanken und anderen psychologischen Symptomen nachzuverfolgen“.

Nestadt, der nicht an der Studie beteiligt war, sagte, es sei „nicht überraschend“, dass die Mehrheit der Jugendlichen abends und nachts Suizidversuche unternimmt, „da Jugendliche in der Regel tagsüber in einer Schulumgebung beaufsichtigt werden. Es liegt vielleicht nicht so sehr an den Schwankungen der Suizidalität, die sich auf den Zeitpunkt auswirkt, sondern vielmehr an der Praktikabilität – es ist ziemlich schwierig, in der Mathestunde einen Suizidversuch zu unternehmen“.

Das Gleiche könnte für die Jugendlichen in der zweiten Stichprobe gelten, die in einer psychiatrischen Tagesklinik waren. „Während des Tages befanden sie sich in Therapiegruppen, in denen Suizidgedanken in Echtzeit erfragt und angesprochen worden wären“, merkte Nestadt an.

„Auch hier könnten die später am Tag auftretenden Suizidgedanken ganz praktische Ursachen haben, nämlich weil sie in der psychiatrischen Tagesklinik beschäftigt waren, und nicht wegen eines inhärenten Anstiegs im Zusammenhang mit endogenen Faktoren wie dem zirkadianen Rhythmus oder dem Anstieg des Kortisolspiegels. Nichtsdestotrotz stellen wir aber auch bei Erwachsenen oft mehr Versuche am Abend fest“, fügte er hinzu.

Erhöhte Verletzlichkeit

Dr. phil. Casey O’Brien, Psychologin am Institut für Psychiatrie des Columbia University Irving Medical Center in New York, legte ihre Meinung zu den Ergebnissen der Studie dar und sagte, dass sie mit dem „einhergehen“, was sie in ihrer Klinik sieht.

Teenager berichten in Gesprächen oft, dass die „unstrukturierte Zeit am Abend – insbesondere die Zeit, in der sie normalerweise zu Bett gehen sollten, aber irgendwie trotzdem aufbleiben – für sie eine Zeit ist, in der sie sehr verletzlich sind“, sagte O’Brien.

„Es ist sehr schön, von Forschenden bestätigt zu bekommen, was uns die Teenager, mit denen wir zusammenarbeiten, anekdotisch berichten“, sagte O’Brien.

O’Brien leitet das Programm für intensive dialektische Verhaltenstherapie (DBT) für Jugendliche an der Columbia University, das sich an junge Menschen richtet, die mit psychischen Problemen kämpfen.

„Innerhalb des Rahmens der DBT versuchen wir, uns wirklich darauf zu konzentrieren und zu akzeptieren, dass die Verletzlichkeit zu dieser Zeit erhöht ist, um dann vorauszuplanen, welche Strategien sie anwenden können, um rasch und ohne Zwischenfälle zu Bett zu gehen“, so O’Brien.

Zu diesen Strategien könne gehören, dass sie vor dem Zubettgehen Zeit mit ihren Eltern verbringen, etwas lesen oder Dinge in ihre abendliche Routine integrieren, die sie beruhigend und tröstend finden, wie beispielsweise eine längere Dusche zu nehmen oder einen bequemen Schlafanzug anzuziehen.

„Wir arbeiten auch viel an Schlafhygienestrategien, um ihnen dabei zu helfen, immer etwa zur gleichen Zeit schlafen zu gehen und sich einen beständigen Schlaf-Wach-Rhythmus anzueignen. Wir planen zudem voraus, damit sie Fähigkeiten im Zusammenhang mit Stresstoleranz in Zeiten erhöhter emotionaler Verletzlichkeit einzusetzen lernen“, sagte O’Brien.

Im DBT-Programm der Columbia University wird auch telefonisches Coaching angeboten, „damit Teenager auch außerhalb der Therapiestunde einen Therapeuten kontaktieren können, der ihnen bei der Anwendung der erlernten Fähigkeiten behilflich sein kann, und wir stellen fest, dass zur Schlafenszeit mehr Anrufe eingehen“, sagte O’Brien.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf medscape.com veröffentlicht.