Darmkrebs-Risiko bei Übergewicht höher als bislang angenommen?

  • Dr. med.Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Übergewicht ist ein bekannter Risikofaktor für Darmkrebs. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben nun nachgewiesen, dass dieser Zusammenhang vermutlich bislang unterschätzt wurde. Der Grund: Viele Menschen verlieren in den Jahren vor einer Darmkrebs-Diagnose unbeabsichtigt Gewicht. Wird in Studien allein das Körpergewicht zum Zeitpunkt der Krebs-Diagnose berücksichtigt, verschleiert dies den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Darmkrebsrisiko. Darüber hinaus zeigt die aktuelle Untersuchung, dass unbeabsichtigter Gewichtsverlust ein früher Hinweis auf Darmkrebs sein kann.

Assoziation mit mehreren Malignom-Arten

Schätzungen zufolge werden bis 2030 weltweit eine Milliarde Menschen adipös sein. In den letzten Jahren hat sich zunehmend gezeigt, dass ausser kardiovaskulären Erkrankungen auch Tumor-Erkrankungen eine Langzeitfolge von Übergewicht und Adipositas sind. So haben große epidemiologische Untersuchungen eine klare Risikobeziehung zwischen Übergewicht und Tumoren der Gebärmutter, der Speiseröhre, der Leber, der Bauchspeicheldrüse und des Darms gezeigt. Je nach Studie findet man zum Teil ein um bis zu vierfach erhöhtes Risiko zum Beispiel für Leberkrebs. „Bei Menschen mit Diabetes Typ 2 kann man von einem bis zu 1,7-fach erhöhten Risiko für bestimmte Tumorarten ausgehen“, sagte Professor Dr. Stephan Herzig, Direktor des Helmholtz Diabetes Centers München und Sprecher der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft „Diabetes und Krebs“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft. „Das sind Brust-, Darm-, Harnblasen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs, bei einer entsprechenden familiären Vorbelastung gilt auch ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs“, so der Molekularbiologe vergangenes Jahr in einer Mitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

BMI-Bestimmung: auf den Zeitpunkt kommt es an

Laut Professor Dr. Sabine Rohrmann (Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich) und Dr. Silke Hermann vom Deutschen Krebsforschungszentrum sind nach Schätzungen aus verschiedenen Ländern etwa 18 Prozent aller Krebs-Erkrankungen auf Ernährung und Adipositas zurückzuführen. Zum Vergleich: Rauchen sei für rund „20 Prozent aller Krebserkrankungen verantwortlich“. Nach bisherigen Schätzungen haben adipöse Menschen ein um etwa ein Drittel höheres Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, als normalgewichtige.
„Allerdings wurde bei diesen Untersuchungen bislang nicht berücksichtigt, dass viele Betroffene in den Jahren vor ihrer Darmkrebs-Diagnose an Gewicht verlieren“, sagt Professor Hermann Brenner, Epidemiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum in einer Mitteilung. „Das hat dazu geführt, dass der Risikobeitrag von Übergewicht in vielen Studien deutlich unterschätzt worden ist.“

Fall-Kontrollstudie DACHS ausgewertet

Um die Größenordnung dieser Verzerrung einzuschätzen, werteten die Forscher um Brenner die Daten aus der DACHS-Studie aus. DACHS steht für: „Darmkrebs: Chancen der Verhütung durch Screening“ und ist eine der weltweit größten Fall-Kontroll-Studien zu Darmkrebs, die sie seit dem Jahr 2003 am Deutschen Krebsforschungszentrum durchgeführt wird. Die fast 12.000 Studienteilnehmer, die in die aktuelle Auswertung eingeschlossen waren, hatten zum Zeitpunkt der Diagnose Angaben zu ihrem Körpergewicht gemacht und darüber hinaus auch ihr Gewicht in den Jahren ihrer früheren runden Geburtstage angegeben.

Insgesamt wurden 11 887 Teilnehmer (6434 mit kolorektalem Karzinom, 5453 zur Kontrolle) eingeschlossen; das mittlere Alter betrug 69 Jahre, der Männer-Anteil rund 60 Prozent. Zum Zeitpunkt der Diagnose waren 3998 Krebs-Patienten (62,1 %) und 3601 Teilnehmer der Kontrollgruppe (66,0 %) übergewichtig oder adipös.

Anhand des Körpergewichts um den Zeitpunkt der Diagnose ließ sich kein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Darmkrebs-Risiko feststellen. Ganz anders sah es jedoch aus, wenn die Forscher das frühere Körpergewicht der Teilnehmer betrachteten: Wurde der BMI 8 bis 10 Jahre vor der Diagnose berücksichtigt, ergaben die Berechnungen signifikante positive Assoziationen zwischen Übergewicht (bereinigte Odds Ratio [aOR] 1,27), Adipositas (aOR 2,09) und einem Anstieg des BMI um 5 Einheiten (aOR 1,35) mit dem Darmkrebs-Risiko.

„Hätten wir, wie in vielen früheren Studien geschehen, nur auf das bei Studieneintritt gemessene Gewicht geschaut, so hätten wir den Zusammenhang zwischen Übergewicht und erhöhtem Darmkrebs-Risiko völlig übersehen“, so Marko Mandic, der Erstautor der Studie in der Mitteilung des Krebsforschungszentrums.

Unbeabsichtigter Gewichtsverlust ein frühes Symptom

Bei ihren Analysen konnte das Team um Mandic und Brenner noch einen weiteren Trend aufzeigen: Auffallend viele der von Darmkrebs betroffenen Studienteilnehmer hatten vor der Diagnose unbeabsichtigt an Gewicht verloren. Ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust von zwei Kilo oder mehr innerhalb von zwei Jahren vor der Diagnose (bzw. vor dem Studieneintritt) kam bei Krebs-Patienten 7,5 Mal häufiger vor als bei den Personen der Kontrollgruppe. „In diesem Zeitraum ist der Krebs schon da, aber noch nicht durch Symptome aufgefallen. Hausärzte sollten ihre Patienten daher regelmäßig nach unbeabsichtigtem Gewichtsverlust fragen“, appelliert Brenner und fügt hinzu: „Unbeabsichtigter Gewichtsverlust könnte auch ein früher Hinweis auf andere Krebsarten oder andere Erkrankungen sein und sollte sorgfältig abgeklärt werden.“