COVID-19: Zunahme psychischer Probleme in Westeuropa vorwiegend zu Beginn der Pandemie

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Die Auswertung von 177 Langzeit- und Querschnittsstudien aus europäischen Ländern mit hohem Einkommen findet eine Zunahme von psychischen Problemen in der Allgemeinbevölkerung überwiegend in einem kurzen Zeitraum nach dem offiziellen Beginn der Pandemie (20. März 2020). Gezeigt wurde dies für Depressionen, Angststörungen und Essstörungen.

Hintergrund

Während der COVID-19-Pandemie kam es zu weitreichenden Zerwürfnissen in der Gesellschaft, der Wirtschaft, und im Gesundheitswesen. Der Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung wurden in ungezählten Studien erfasst, ein zusammenfassendes Abbild der zeitlichen Verläufe gibt es aber nicht.

Design

Systematische Übersichtsarbeit in europäischen Ländern mit hohem Einkommen zur Prävalenz und Inzidenz psychischer Probleme vor und während der COVID-19-Pandemie, die gemäß der offiziellen Verlautbarung der Weltgesundheitsorganisation auf den 11. März 2020 datiert wurde. Durchsucht wurden die Datenbanken MEDLINE, PsycINFO, Embase, and CINAHL. Unter den ursprünglich 7066 Treffern und deren Verweisen, sowie bei weiteren Suchen auf Preprint-Servern wurden schließlich 177 Langzeitstudien und Querschnittsstudien gefunden, die für die Auswertung geeignet waren.

Ergebnisse

  • Die gefundenen Studien hatten zu 92 % Erwachsene untersucht, und zu 8 % Jüngere ab 6 Jahren. Die Zahl der Teilnehmer schwankte zwischen 20 und annähernd 25 Millionen. Die meisten Studien stammten aus Großbritannien (46), gefolgt von Italien (24), Deutschland (20), den Niederlanden (12), Spanien (10), Frankreich (9) sowie 14 Ländern mit zumeist kleinerer Bevölkerung.
  • Die Hälfte der Studien hatte psychische Parameter vor und während der Pandemie erfasst, jeweils etwa ein Drittel hatte mehrfach während der Pandemie gemessen bzw. eine Vergleichsgröße sowohl vor der Pandemie als auch während der Pandemie. Von den insgesamt 180 Veröffentlichungen wurden 62 % als qualitativ hochwertig eingestuft, 38 % wurde eine niedrige Qualität bescheinigt.
  • Die Autoren fanden Evidenz von hoher bis moderater Sicherheit dafür, dass die Prävalenz von Depressionen, generalisierter Angststörung und unspezifischen psychischen Problemen während der Pandemie höher war als davor, wobei die Messungen typischerweise aus dem ersten Jahr der Pandemie – 2020 – stammten. Die Größenordnung der Prävalenzzunahme variierte erheblich zwischen 0,25 und 31 %.
  • Evidenz von sehr niedriger Sicherheit legte nahe, dass auch die Prävalenz von Essstörungen sowie gemischte Depression/Angststörung zugenommen hat, und zwar im ersten Fall um 20 – 21 %, und im zweiten Fall um 3,9 %.
  • Mit moderater Evidenz wird geschlossen, dass die Prävalenz von Depressionen vom Beginn der Pandemie bis Ende Juni 2020 sich kaum verändert hat. Im gleichen Zeitraum hätten Angststörungen abgenommen, und zwar um 2,4 bis 11,5 % (niedrige Evidenz).
  • Zahlreiche weitere Befunde ergeben kein einheitliches Bild – auch nicht bei Menschen, die bereits vor der Pandemie psychische Probleme hatten.

Klinische Bedeutung

Mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie hat die Prävalenz psychischer Probleme in der westeuropäischen Allgemeinbevölkerung zugenommen, dann aber stagniert bzw. wieder angenommen. „Diese Beobachtung könnte interpretiert werden als akute Reaktion auf ein globales Ereignis, das zu großflächigen Verwerfungen, Angst, finanziellen Problemen, und Trauer geführt hat“, schreiben die Autoren. Dies wird aber nicht explizit dem Virus zugeschrieben, vielmehr hätten die besonders stringenten Lockdowns in diesem Zeitraum bekannte Risikofaktoren für psychische Probleme verstärkt, wie beispielsweise Arbeitslosigkeit und soziale Isolation.

Finanzierung: National Institute for Health and Care Research.