COVID-19 plus Gebrechlichkeit: ein besonders gefährliches Duo

  • Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Über 80 Jahre alte Patienten COVID-19 haben ein deutlich erhöhtes Sterberisiko im Vergleich zu unter 50-jährigen Patienten. Da die mit dem Alter assoziierte Gebrechlichkeit die COVID-19-assoziierte Mortalität noch weiter erhöht, sind frühzeitige und adäquate Rehabilitationsprogramme sowie eine adäquate Vitamin-D- und Eiweißversorgung unerlässlich. So lauten die Hauptbotschaften des Wiener Geriaters Professor Marcus Köller von der Abteilung für Akutgeriatrie, Klinikum Favoriten.

Stark steigende Prävalenz ab 65

Rund ein Fünftel der Bevölkerung in Mitteleuropa ist laut dem Geriater über 65 Jahre alt. Gebrechlichkeit (Frailty) sei ein mit dem Prozess des Alterns assoziiertes Syndrom, das zur schleichenden Abnahme der physiologischen Funktionen in mehreren Organsystemen führe, woraus eine höhere Vulnerabilität gegenüber Stressoren entstehe. Die Prävalenz von Frailty nehme ab 65 Jahren deutlich zu. In dieser Altersgruppe seien etwa 10–15 % der Menschen als gebrechlich einzustufen, 40 % seien hochgefährdet, gebrechlich zu werden. Akute Erkrankungen seien für diese Menschen ein besonderes Risiko; häufig führen sie laut Köller zu physischen oder kognitiven Funktionsverluste bis hin zur Pflegebedürftigkeit. Darüber hinaus gingen Frailty und Multimorbidität oft gemeinsam einher; fast drei Viertel der gebrechlichen Menschen hätten mehrere chronische Erkrankungen.

Typisch: rascher Verlust an Muskelmasse

Eine Kernkomponente von Frailty sei die Sarkopenie mit multifaktorieller Pathogenese, erinnert Köller. Außer degenerativen Prozessen spielten Eiweiß- und Vitamin-D-Mangel eine bedeutende Rolle. Zudem führten immunologische Mechanismen im Zusammenhang mit dem Altern („Inflammaging“) zur vermehrten Produktion von proinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-6 und Tumor-Nekrose-Faktor-α. Diese immunologischen Mechanismen beschleunigten den Muskelabbau und förderten so den raschen Funktionsverlust. Diese Biomarker seien auch mit dem Schweregrad des COVID-19-Verlaufs assoziiert.

Darüber hinaus gebe es Hinweise, dass SARS-CoV-2 über die Bindung an ACE2-Rezeptoren direkt Muskelzellen befallen könne. So hätten COVID-19-Patienten auf Intensivstationen im Bereich der Oberschenkel 20–30 % der Streckmuskulatur innerhalb von 10 Tagen verloren. Besonders über 60-jährige Patienten seien gefährdet, bei moderaten und schweren Verläufen von COVID-19 rasch Muskelmasse zu verlieren. Mit dem Verlust an Muskelmasse und der Entwicklung einer Sakopenie steige dann das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf.

Sicherstellung der Vitamin-D- und Eiweißversorgung notwendig

 Eine wesentliche Komponente in der Pathogenese der Sarkopenie sei der Vitamin-D-Mangel, berichtet Marcus Köller weiter. In vielen Assoziationsstudien sei mittlerweile gut belegt, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel mit negativen Verläufen bei mehreren chronischen Erkrankungen einhergehen könne. In vielen Untersuchungen seien auch bei schwer an COVID-19 Erkrankten niedrige Vitamin-D-Spiegel festgestellt worden. Aus kleinen, offenen Studien ergeben sich laut Köller Hinweise, dass eine Vitamin-D3- Supplementation die Überlebensraten bei COVID-19 verbessern und den Schweregrad der Erkrankung mildern könnte. Frühzeitige und adäquate Rehabilitationsprogramme sowie die Sicherstellung der Vitamin-D- und Eiweißversorgung seien daher auch bei vorliegender COVID-19 unerlässlich.

Eine generelle Vitamin D-Gabe nur zur COVID-19-Infektionsprophylaxe oder -therapie sei zwar nicht angebracht, sagt dazu die Deutsche Gesellschaft für EndokrinologieDiese Einschätzung dürfe aber nicht dazu führen, in dieser Situation nicht an Vitamin D zu denken. Da der Verlauf der schweren COVID-19-Infektion zu Steroidexposition, wochen- und monatelanger Immobilisation, schwerer Myopathie und Sarkopenie, langanhaltender Fatique sowie zu Mangelernährung und fehlender Sonnenexposition führen könne, sollte man konstatieren, dass diese Menschen ein Risiko für die Entstehung muskuloskeletaler Probleme hätten und sich daher sehr häufig für eine niedrig dosierte Ergänzung qualifizierten). Im Falle älterer COVID-19-Patienten komme hinzu, dass sie in der Regel eine hohe Prävalenz für die Mangelsituation aufweisen und daher eine Basistherapie zur Prophylaxe erhalten sollten.

Außerdem wichtig: Rehabilitation

Einen großen Stellenwert für schwer kranke COVID-19-Patienten haben Rehabilitationsmaßnahmen. Bis zu 50 Prozent der hospitalisierten Patienten mit COVID-19 benötigen Köller zufolge eine Rehabilitation nach der Entlassung. Erforderlich seien individuell angepasste Rehabilitationsprogramme. Interessanterweise scheine bei der Post-COVID-19-Sarkopenie ein aerobes Training mit niedriger Intensität, kombiniert mit Krafttraining, den Trainingsformen mit rein hoher Intensität überlegen zu sein.

Effektiver Muskelaufbau und Kraftzuwachs seien allerdings nur mithilfe adäquater Ernährung zu erreichen. Mangelernährung könne bei geriatrischen Patienten als „endemisch“ betrachtet waren. Die Prävalenz der Malnutrition bei COVID-19-Patienten sei in einer Studie mit rund 40 % angegeben worden. Patienten, die auf einer Intensivstation hätten behandelt werden müssen, seien zu zwei Drittel mangelernährt gewesen. Die bekannte mögliche Folge: die Entwicklung einer Sarkopenie. Nachdruck wird dieser Forderung durch eine Übersichtsarbeit verliehen, die im „Lancet“ erschienen ist: Sie zeigt, dass eine gezielte Ernährungstherapie die Heilungs- und sogar die Überlebenschancen von mangelernährten und hospitalisierten Patienten steigern könne.