COVID-19-Pandemie: Elf- bis Siebzehnjährige litten besonders häufig unter Schulschließungen
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Pandemiebedingte Schulschließungen in Deutschland haben zu einer erheblichen Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren geführt. Das geht aus einer Studie hervor, deren Ergebnisse jüngst in Science Advanced veröffentlicht wurden.
Während der COVID-19-Pandemie hat die Krise der psychischen Gesundheit von Jugendlichen ein bislang noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Inwieweit Schulschließungen, eine der am heftigsten diskutierten Pandemiemaßnahmen, zu dieser Krise beigetragen oder sie sogar verursacht haben, ist weitgehend unbekannt.
Um dieser Frage nachzugehen haben Christina Felfe vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Konstanz und ihr Team in Zusammenarbeit mit Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der Studie und der Forschungsgruppe „Child Public Health“ der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) eine gemeinsame Studie konzepiert. Dazu kombinierten die Wissenschaftler quasi-experimentelle Variationen von Schulschließungs- und Wiedereröffnungsstrategien in den deutschen Bundesländern zu Beginn der Pandemie mit bundesweiten, bevölkerungsbasierten Umfragedaten zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen und Hochfrequenzdaten der größten Krisenberatungsstelle
Jedes Bundesland hat eigenständig über Schulschließungen entschieden
„Unser Ziel war es zu untersuchen, was die Schulschließungen in dieser so sensiblen Phase im menschlichen Leben bewirkt haben, in der soziale Bindungen, Kontakte zu Rollenmodellen, zu Lehrpersonen, aber auch zu Mitschülerinnen und Mitschülern ausschlaggebend für eine gesunde Entwicklung sind“, sagte Felfe in einer Mitteilung des UKE. Für ihre Untersuchung nutzten sie und ihr Team die föderale politische Struktur in Deutschland. Da die 16 deutschen Bundesländer Bildungshoheit besitzen, konnten sie selbst über Schulschließungs- und Wiederöffnungsstrategien entscheiden.
Je nachdem, in welcher Klassenstufe eine jugendliche Person war und in welchem Bundesland sie gelebt hat, war sie kürzer oder länger zu Hause. Durch die Isolierung länderspezifischer Eigenschaften konnte der Vergleich bundesweit durchgeführt werden.
Begrenzter Wohnraum und familiäre Probleme ausschlaggebend
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass längere Schulschließungen zu einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Jugendlichen geführt haben und frühe Anzeichen für psychische Gesundheitsprobleme hervorriefen. Am stärksten waren die Auswirkungen bei Jungen, jüngeren Jugendlichen und Familien mit begrenztem Wohnraum. Die Wissenschaftler lieferten außerdem Belege dafür, dass familiäre Probleme ein Hauptproblem sind, mit dem die Jugendlichen zu kämpfen hatten, als ihnen der Zugang zur Schule verwehrt wurde. Insgesamt erklärt die Schließung von Schulen weitgehend die Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen während der ersten Pandemiewelle, räumen die Wissenschaftler ein.
Spitze des Eisbergs
„Unsere Ergebnisse spiegeln wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs wider. Wir geben nur Einblicke in die kurzfristigen Auswirkungen längerer Schulschließungen auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen“, so die Studienautoren. Demnach beziehen sich die Schätzungen lediglich auf die Auswirkungen der ersten Schulschließungen, die zwischen 4,7 und 10,1 Wochen dauerten. In Deutschland folgten jedoch 25 oder mehr zusätzliche Wochen der Schulschließung. Die Auswirkungen können sich laut der Wissenschaftler natürlich nicht Woche für Woche summieren. Viele Jugendliche hätten sich möglicherweise an die veränderte Situation angepasst und gelernt damit zu leben. Die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen stellten dennoch eine enorme Belastung für die Jugendlichen und ihre Familien dar und entzogen ihnen die positiven sozialen Interaktionen, die für eine rasche Erholung dringend erforderlich sind.
Die Wissenschaftler interpretieren ihre Ergebnisse als einen Aufruf zur Vorsicht bei der Erwägung von Schulschließungen als Maßnahme zur Eindämmung einer Virusausbreitung. Gleichzeitig solle die Studie auch als Aufruf zum Handeln verstanden werden: „Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Schulen gestärkt werden und sie unterstützen, um die Kinder und Jugendlichen für künftige Krisen resilienter zu machen. Dazu brauchen wir niedrigschwellige, nachhaltige und langfristige Konzepte und Strukturen, um Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen aufzufangen und ihnen Hilfen anzubieten“, resümiert Ravens-Sieberer.
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