COVID-19: „Heterogenes Universum von Zahlen“ neu analysiert

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Die vermutlich bislang aufwändigste Studie zur Abschätzung der Zahl von SARS-CoV-2-Infektionen weltweit mit Stichdatum 14.11.2021 geht von kumulativ 3,80 Milliarden Fällen bei 3,39 Milliarden Individuen aus. Selbst dort, wo die Immunität in der Bevölkerung 80 % erreichte, sank die Reproduktionszahl nicht, und eine Herdenimmunität wurde offenbar nicht erreicht.

Hintergrund

In der aktuellen COVID-19-Pandemie orientiert sich die Politik an einer Reihe von Kennzahlen zum Infektionsgeschehen, die aber häufig nur auf Schätzungen für einzelne Orte und Zeitpunkte beruhen. Noch dazu habe man sich bei diesen Schätzungen auf Datenerhebungen verlassen, deren Verzerrungen nicht hinreichend korrigiert wurden, schreiben die Autoren der aktuellen Studie.

Design

Erneuerung der globalen und ortsspezifischen Schätzungen der täglichen und kumulativen Infektionen durch SARS-CoV-2 bis zum 14. November 2021, hauptsächlich anhand Daten der Johns Hopkins University und nationaler Datenbanken für gemeldete Fälle, Klinikeinweisungen, gemeldete Tote, sowie Erhebungen zur Seroprävalenz. Diese Daten wurden korrigiert für

  • bekannte Verzerrungen wie Verzögerungen in der Berichterstattung,
  • Die Dunkelziffer bei Todesmeldungen mittels eines statistischen Modells, das den Anteil der Übersterblichkeit abbildet, der durch SARS-CoV-2 verursacht wird,
  • Verzerrungen bei Seroprävalenz-Erhebungen durch nachlassende Sensitivität von Antikörpertests, Impfungen und Neuinfektionen durch Escape-Varianten.

Aus dem „heterogenen Universum berichteter epidemiologischer Daten“ schufen die Autoren eine mehrfach kuratierte, korrigierte, und kalibrierte Datenbank mit orts- und tagesspezifischen Schätzungen zur Rate von Infektionen/Nachweisen, Infektionen/Hospitalisierungen und Infektionen/Mortalität, die auf mehreren Ebenen überprüft und mit Angaben zu möglichen Unsicherheiten ergänzt wurden.

Ergebnisse

  • Die in 7 Schritten erstellte, neue statistische Analyse enthält Schätzungen für alle Altersstufen, und beide Geschlechter in 190 Ländern und Territorien, und für 10 Länder auch für deren Bundesstaaten. Die Publikation umfasst 30 Seiten; ergänzend sind monatlich aktualisierte Daten und Trends im Internet kostenlos abrufbar unter https://covid19.healthdata.org/
  • Zwischen April 2020 und Oktober 2021 schwankte die Zahl der täglichen Infektionen zwischen 3 und 17 Millionen weltweit.
  • Kumulativ kam es vom Beginn der Pandemie bis zum 14.11.2021 zu geschätzt 3,80 Milliarden (95%-Konfidenzintervall 3,44 – 4,08) Infektionen und Reinfektionen bei 3,39 Milliarden (95%-KI 3,08 – 3,63) Individuen. Somit haben sich bis zu diesem Zeitpunkt 43,9 % der Weltbevölkerung mindestens 1-mal angesteckt.
  • Für Deutschland belaufen sich die Schätzungen auf 160000 Tote (95%-KI 129000 – 199000), was einer Sterberate von 188,6 / 100000 Einwohner entspricht. Bei kumulativ 12,4 Millionen Infektionen lag die Hospitalisierungsrate bei 3,0 % und die Fatalitätsrate bei 1,4 %.
  • Die meisten Infektionen ereigneten sich in Südasien (1,34 Milliarden); die wenigsten in der Super-Region der Länder mit hohem Einkommen (239 Millionen).
  • Die höchsten Infektionsraten fand man in Afrika südlich der Sahara (79,3 / 100 Einwohner), am niedrigsten waren sie in Südostasien, Ostasien und Ozeanien (13,0 / 100 Einwohner).
  • Der Anteil der jemals infizierten Bevölkerung lag in 40 Ländern über 70 %, dagegen in 39 Ländern unter 20 %.
  • Auch dort, wo die Immunität in der Bevölkerung 80 % erreichte, sahen die Forscher keinen abrupten Abfall der effektiven Reproduktionszahl R. Dies bedeutet, dass die Schwelle zu einer möglichen Herdenimmunität noch nicht erreicht wurde.

Klinische Bedeutung

Die neuen, zuverlässigen, und online ständig aktualisierten Daten könnten dazu beitragen, bessere Strategien zur Verhinderung von Infektionen zu entwickeln, bzw. deren Wirksamkeit nachträglich zu überprüfen. Sie sind allerdings bei Erscheinen schon veraltet, wie die Autoren einräumen. Neue Daten zur Seroprävalenz der Omikron-Variante würden erwartet, und die kumulativen Infektionen bis zum März 2022 könnten sich gegenüber dem Stichdatum der aktuellen Publikation bereits verdoppelt haben.

Finanzierung: Bill & Melinda Gates Foundation, J Stanton, T Gillespie, und J und E Nordstrom.