COVID-19: Faktenchecks kontra Fehlinformationen
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Es soll noch immer - mehr als 50 Jahre nach der ersten Mondlandung - Menschen geben, die glauben, die Erde sei eine Scheibe. Über diese so genannte Wissenschaftsleugnung mag man sich noch amüsieren. Deutlich weniger amüsant und harmlos ist jedoch, dass zu viele Menschen selbst den absurdesten Falschbehauptungen zu SARS-CoV-2, COVID-19 und den Impfungen glauben. Ein Verfahren, das verwendet wird, um solche Menschen vom falschen Glauben abzubringen und auf den richtigen Weg zu bringen, sind Faktenchecks. Sie können kurzfristig Falschwahrnehmungen zu COVID-19 korrigieren – oft besonders gut bei den für Falschinformationen anfälligsten Gruppen oder Personen, die vorher vielen Falschinformationen glaubten. Das ist unstrittig. Aber: Der erwünschte Effekt von Facktenchecks hält nicht lange an. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer Studie, die am 03.02.2022 im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ erschienen ist. Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass die Studie keine Aussage treffen kann zu den Auswirkungen der Faktenchecks auf das Verhalten der Nutzer – also beispielsweise die Einhaltung von Hygieneregeln.
Die Studie in Kürze
Die Autoren haben Probanden in den USA und Großbritannien in mehreren Runden befragt, in Kanada in nur einer. Sie legten dabei verschiedenen Gruppen zu unterschiedlichen Zeitpunkten Faktenchecks zu COVID-19-Falschbehauptungen oder Artikel ohne Zusammenhang zu den Falschbehauptungen vor. Danach bewerteten die Probanden wahre und falsche Aussagen zu COVID-19. Die Befragten, die Faktenchecks zu bestimmten Falschbehauptungen gelesen hatten, konnten diese zwar häufiger als falsch erkennen, aber schon einige Wochen später war dieser Effekt kaum noch vorhanden.
Die Autoren fanden auch keine Evidenz für Übertragungseffekte auf die Wahrnehmung anderer Falschwahrnehmungen zu COVID-19 – die Meinung der Befragten änderte sich nur zu den konkreten Themen, die in den Faktenchecks behandelt wurden. Ebenso sahen die Forscher keine Evidenz dafür, dass sich die Wirkung von Faktenchecks erhöhte, wenn diese wiederholt mit einigen Wochen Abstand vorgelegt wurden.
Jeder Widerlegungsversuch besser als keiner
Die Frage nach der Wirkung von Faktenchecks ist momentan im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie besonders relevant, aber schon seit einigen Jahren ein wichtiges Thema. Aus diesem Grund hat das SMC (Science Media Center) Wissenschaftler nach dem Stand der Forschung zu Faktenchecks, einer Einschätzung der Studie und zu effektiven Maßnahmen gegen Falschwahrnehmungen befragt.
Meta-Studien in diesem Forschungsfeld bestätigten, was die vorliegende Studie zeige: Faktencheck-Texte können den Glauben an Fehlinformationen bei Lesern deutlich reduzieren, erklärt die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Dr. Sabrina Heike Kessler von der Universität Zürich, Auch dass der Effekt der Fehlinformation durch eine Korrektur nicht vollständig und langfristig eliminiert werden könne, zeige sich in verschiedensten Studien zu Desinformation. Das Phänomen werde als ‚continued influence effect‘ der Fehlwahrnehmung bezeichnet. Dieser Effekt werde mit der Zeit – leider – auch stärker. Kessler: „Die alte Weisheit stimmt – ‚etwas Dreck bleibt immer hängen‘ und Fehlwahrnehmungen beeinflussen entsprechend oft trotz einer Korrektur weiter das Denken und Handeln von Menschen.“ Jeder Widerlegungsversuch sei jedoch besser als gar kein Widerlegungsversuch. Die Faktenchecks könnten den Glauben an und die Verbreitung von Fehlinformation signifikant reduzieren – das zeige auch die vorliegende Studie. Studien aus Deutschland, beispielsweise in der COSMO-Befragung, zeigten mitunter, dass gut gemachte Widerlegungsversuche auch längerfristiger wirksam sein könnten.
Überraschend ist der Wissenschaftlerin zufolge, dass auch die wiederholte Konfrontation mit einem Widerlegungstext in der aktuellen Studie nicht zu länger anhaltenden positiven Effekten führte. In der Theorie sei angenommen worden, dass durch das wiederholte Lesen einer Widerlegung diese von den Lesern als vertrauter und richtiger wahrgenommen werden werde. Da in der aktuellen Studie „derselbe Widerlegungstext zwei Mal genutzt wurde, wäre eine nächste Frage, ob ein zweiter Widerlegungstext dann erfolgreicher wäre, wenn dieser noch weitere Korrekturinformationen enthalten würde. Wenn ein zweiter Widerlegungstext noch mehr Argumente oder erklärende Details geben würde, würde dieser wahrscheinlich eine längerfristige positive Wirkung haben.“
Auch hier gilt: Prävention ist besser als Therapie
Wichtig ist laut Kessler, die Verbreitung von Falschmeldungen von Beginn an einzudämmen. Denn seien Falschwahrnehmungen einmal im Kopf eines Menschen, seien sie dort relativ stabil verankert und nicht wieder vollständig zu beseitigen. Die Forschung zeige jedoch auch, dass eine sogenannte vorherige ‚Impfung gegen Fehlinformationen‘ noch effektiver sei als die Bekämpfung der Fehlwahrnehmung im Nachhinein. Bei dieser ‚Impfung‘ gehe es darum, Menschen die Risiken von verbreiteten Fehlinformationen vor Augen zu führen und gleichzeitig eine präventive Widerlegung vorzunehmen. „Dies“, so Kessler, „verbessert dann auch ganz allgemein deren Kompetenz, Fehlinformationen zu erkennen“.
Faktenchecks: keine Wunderwaffe gegen Fehlinformationen
„Die Autoren gehören zu den führenden Forschern im Feld und legen eine überzeugende, international vergleichende Analyse vor. Zu bedenken ist allenfalls, dass es sich um eine Experimentalstudie handelt, erklärt Professor Dr. Christian Hoffmann vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Leipzig. Denn in der Forschung zu Faktenchecks gilt nach seinen Angaben: „Die größten Effekte zeigen sich unter relativ künstlichen Laborbedingungen. Je lebensnäher die untersuchte Nutzungssituation ist, desto geringer sind die nachweisbaren Effekte.“. Es sei also davon auszugehen, dass die gezeigten kurzfristigen Effekte von Faktenchecks im Alltag der Nutzer kleiner seien als in dieser Studie gezeigt.
Ähnlich wie Kessler betont auch Hoffmann, dass dieser wie auch anderer Studie zufolge Faktenchecks nicht wirkungslos sind, aber auch „keine Wunderwaffe im Kampf gegen Misinformation“. Diverse Studien zeigten einen zumindest vorübergehenden Effekt von Faktenchecks auf das Wissen oder die Einschätzungen von Nutzern. Wie beschrieben, werde dieser Effekt allerdings sehr klein bis vernachlässigbar, je realistischer die untersuchte Nutzungssituation sei. Zu bedenken sei ausserdem: „Die verfügbare Studienlage unterliegt einem Publikations-Bias, das heißt, dass eher Studien veröffentlicht werden, die einen Effekt von Faktenchecks zeigen. Solche, die keinen Effekt finden, werden eher nicht veröffentlicht. Somit überschätzen wir vermutlich insgesamt die Wirksamkeit von Faktenchecks.“
Fehlinformationen eher die Ausnahme
Nach der aktuellen Studienlage ist laut dem Leipziger Wissenschaftler die Verbreitung von jedoch Misinformation insgesamt gering. Hoffmann: „Wir sind weit überwiegend verlässlichen Informationen ausgesetzt. Die Annahme, dass Nutzer im Netz zufällig einer Misinformation begegnen und stark von dieser beeinflusst werden, ist kaum begründet.“ Misinformationen würden vor allem von solchen Menschen aufgesucht und verbreitet, die damit ihr Weltbild bestärken und andere überzeugen oder kritisieren wollten. Gerade diese kleine entschlossene Gruppe zeige sich jedoch besonders resistent gegen Faktenchecks. Wichtiger als die Korrektur einzelner Misinformationen durch Faktenchecks sei daher, dass weiterhin vor allem zuverlässige Informationen verbreitet würden.
Noch viel Forschungsbedarf
Zu bedenken ist allerdings, dass viele Fragen zu dem Phänomen, wie Menschen im Allgemeinen Fehlinformationen verarbeiten, noch durch weitere Forschung geklärt werden müssten, erklärt in internationales Autorenteam um den Psychologen Dr. Ullrich K. H. Ecker (Perth, Australien) in einem Fachzeitschriftenbeitrag. So hätten sich die meisten bisherigen Forschungsarbeiten auf explizite Fehlinformationen und textbasiertes Material konzentriert. Daher seien die kognitiven Auswirkungen anderer Arten von Fehlinformationen, einschließlich subtilerer Arten von Irreführung, wie z. B. Paltering (Irreführung, während teilweise die Wahrheit gesagt wird), gefälschte Bilder und Deepfake-Videos derzeit noch nicht gut verstanden würden. Auch nicht-textbasierte Korrekturen, wie Videos oder Cartoons, verdienen den Autoren zufolge eine genauere Untersuchung.
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