Corona: „Rufe“ nach Herbst-Strategie, höherer Impfquote und neuen Vakzinen

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt: „Die Zeit drängt"

Bund und Länder sollten die Corona-Strategie für den Herbst rechtzeitig planen, fordert Medienberichten zufolge Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt vor dem Deutschen Ärztetag, der am Dienstag in Bremen beginnt. Dabei sei es besonders wichtig, auf Kinder und Jugendliche zu achten, weil diese wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe Schutzmaßnahmen ertragen haben. 

„Die Zeit drängt", sagte der Chef der Bundesärztekammer der Deutschen Presse-Agentur. „Spätestens die nächste Ministerpräsidentenkonferenz am 2. Juni muss die Weichen für einen sicheren Betrieb von Schulen und Kitas stellen." Gerade Kinder hätten in den vergangenen zwei Jahren einen großen Solidarbeitrag geleistet. Wir seien verpflichtet, den Kindern jetzt etwas zurückzugeben, so Reinhardt. Corona-Infektionen verliefen bei jungen Menschen zwar meistens sehr mild, die Eindämmungsmaßnahmen hätten aber schwerwiegende Folgen für Kinder und Jugendliche gehabt. Notwendig sei außerdem eine möglichst hohe Impfquote, um das Coronavirus wirksam einzudämmen, so Reinhardt weiter. Die Quote müsse weiter gesteigert und die Notwendigkeit von Impfungen noch verständlicher gemacht werden.m„Die bisherigen Impfkampagnen waren halbherzig und uninspiriert. Da gibt es noch viel Luft nach oben.“

Erneut Hinweise auf mögliche gesundheitliche Folgen der Pandemie

Bedenklich sind außer der bisherigen Impfquote auch mögliche Folgen der Pandemie für die seelische Gesundheit. Schon zu Beginn der Corona-Pandemie geriet, wie berichtet, das Thema „Einsamkeit“ verstärkt in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen geraten. Seit Kurzem liegen zwei weitere Publikationen dazu vor. So ist während der Corona-Pandemie laut der einen Publikation das Gefühl der Einsamkeit weltweit um fünf Prozentpunkte gestiegen. Die zweite Veröffentlichung zeigt, dass sich in Deutschland bei Studentinnen und Studenten das Gefühl der Einsamkeit während des Lockdowns fast verdoppelt hat.

Für die erste Publikation - eine Metaanalyse - haben Wissenschaftler 34 Studien mit mehr als 200.000 Probanden ausgewertet. „Wir konnten so erstmals nachweisen, dass Einsamkeit in der Bevölkerung während der Pandemie weltweit zugenommen hat“, so Erstautorin Dr. Mareike Ernst von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Mainz. Konkret ergab die Analyse für die Zeit der sozialen Einschränkungen einen Anstieg des Gefühls der  Einsamkeit um im Mittel rund fünf Prozentpunkte. „Die These von der ‚Pandemie der Einsamkeit‘ ist damit sicherlich widerlegt“, kommentiert die Psychologin das Ergebnis. „Dennoch handelt es sich um einen deutlich messbaren Anstieg, der nachteilige gesundheitliche Folgen haben könnte“, so Ernst. Und: Es seien zwar keine näheren Angaben zu den Bevölkerungsgruppen möglich, die sich verstärkt einsam fühlten. Es sei aber bekannt, dass Personen nach dem Renteneintritt ebenso zu den Risikogruppen für Einsamkeit zählten wie Heranwachsende.

Junge Singles stark betroffen

Dass ein Teil der jungen Erwachsenen besonders stark unter den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie litt, zeigt die zweite Publikation, eine Studie aus Deutschland, für die 443 Studenten per Mail rekrutiert und vor und während der Pandemie zu ihrer mentalen Gesundheit befragt wurden (Juni bis August 2019 versus Juni 2020). „Im Schnitt waren die Befragten knapp 23 Jahre alt und zu 77 Prozent weiblichen Geschlechts“, erläutert Professor Dr. med. Dipl.-Psych. Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Mainz.

Wie die Auswertung ergab, zählt Einsamkeit zu den Markern, die während der Pandemie in dieser Gruppe am stärksten anstiegen. „Der Wert hat sich fast verdoppelt“, erklärt Beutel. Die Befragung habe auch gezeigt, dass insbesondere Studenten, die vor und während der Pandemie keine feste Partnerschaft hatten, unter Einsamkeit litten. „Man kann sagen: Soziale Isolation durch Einbußen bei sozialen Kontakten und Freizeitaktivitäten plus gesundheitliche Sorgen während der Pandemie führten vor allem bei Single-Studierenden zu Einsamkeit". Knapp die Hälfte der Befragten gab an, in keiner festen Partnerschaft zu sein. Einsame Studenten und Studentinnen waren, wie die Studie weiter ergab, häufig depressiv und ängstlich gestimmt; außerdem klagten sie verstärkt über körperliche Beschwerden.„Einsamkeit besitzt hohe gesundheitspolitische Relevanz, vor allem, wenn sie längere Zeit anhält“, betont Beutel. 

Auf mögliche gesundheitliche Folgen von Einsamkeit haben erst kürzlich auch zwei andere Studien hingewiesen. So geht laut der einen, in „Neurology“ publizierten Studie, Einsamkeit mit einem erhöhten Demenz-Risiko einher. Berechnungen ergaben für einsame Erwachsene im Vergleich zu nicht einsamen Erwachsenen ein um mehr als 50 Prozent höheres 10-Jahres-Demenz-Risiko. In der zweiten Studie kam heraus, dass soziale Isolation und Einsamkeit bei älteren Frauen in den USA mit einem um 27 Prozent erhöhten Risiko für eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung verbunden waren. An der Studie nahmen fast 60.000 Frauen im Alter zwischen 65 und 99 Jahren teil. 

Bessere Immunreaktion durch attenuiertes Lebendvirus

Außer zielführenden Strategien für den Herbst wünschen sich Ärzte Impfstoffe, die eine möglichst lang andauerte Immunität auslösen. Deshalb geht die Entwicklung neuer Vakzin-Kandidaten weiter; neue Ergebnisse sind als Preprint veröffentlicht worden. So verglichen laut einem Bericht von „Medscape“ Forscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Kollegen die Immunantworten und die präklinische Wirksamkeit des mRNA-Impfstoffs BNT162b2, eines Adenovirus-Vektor-Spike-Impfstoffs und des Impfstoffkandidaten sCPD9. Um das abgeschwächte Virus sCPD9 herzustellen, hatten die Wissenschaftler einen kurzen Abschnitt des SARS-CoV-2-Genoms durch eine synthetisierte Sequenz ersetzt mit dem Ziel, die Virusreplikation zu begrenzen.

Bei den aktuellen Experimenten kamen Goldhamster als bekanntes Tiermodell für SARS-CoV-2-Infektionen zum Einsatz. Die durch sCPD9 hervorgerufene robuste Immunität zeigte sich anhand eines breiten Spektrums von Immunparametern nach einer Provokation mit SARS-CoV-2. Zu den Vorteilen – verglichen mit anderen Vakzinen – gehörten eine schnelle Virusbeseitigung, geringe Gewebeschäden, eine schnelle Differenzierung von Prä-Plasmablasten, eine starke systemische bzw. mukosale humoralen Reaktionen und eine schnelle Mobilisation von Gedächtnis-T-Zellen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Verwendung von abgeschwächten Lebendimpfstoffen Vorteile gegenüber den verfügbaren COVID-19-Impfstoffen bieten kann, insbesondere, wenn sie als Auffrischungsimpfung eingesetzt werden, und dass sie eine Lösung für die Eindämmung der COVID-19-Pandemie darstellen könnten“, resümieren die Autoren.