Corona-Expertenrat: Wohl der Kinder verdient mehr Rücksicht

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaft

Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat seine 7. Stellungnahme zur COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Darin drängen die Experten darauf, das Kindeswohl in der Pandemie stärker zu berücksichtigen. Die Pandemie belaste Kinder und Jugendliche „aus vielfältigen Gründen besonders stark", erklären die Experten in der aktuellen veröffentlichten Stellungnahme. Dies schließe zum einen, wenn auch in geringerem Ausmaß als in anderen Altersgruppen, die primäre Krankheitslast durch die SARS-CoV-2-Infektion selbst ein.

Vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien betroffen

Besonders schwerwiegend sei die sekundäre Krankheitslast durch psychische und physische Erkrankungen der Kinder und Jugendlichen, ausgelöst u.a. durch Lockdown-Maßnahmen, Belastungen in der Familie wie Angst, Krankheit, Tod oder Existenzverlust, Verlust an sozialer Teilhabe und Planungsunsicherheit. Betroffen davon seien vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Eine sorgfältige und der jeweiligen Situation angepasste Verbindung von Infektionsschutz und sozialer Teilhabe sei zusammen mit psychosozial stabilisierenden Maßnahmen dringend erforderlich, betonen die Experten. 

Die primäre Krankheitslast der Kinder und Jugendlichen durch eine akute Infektion mit SARS-CoV-2 sei im Vergleich zu Erwachsenen und insbesondere zur älteren Bevölkerung zwar geringer; entsprechend seien die Hospitalisierungsrate und die Aufnahmen auf Intensivstationen und Sterblichkeit in Deutschland weitaus niedriger, heißt es in der Stellungnahme weiter. Aber auch Kinder und Jugendliche, insbesondere mit Vorerkrankungen und Risikofaktoren, könnten schwer erkranken.

PIMS: vermutlich mehr als 700 Fälle

Außer der akuten Krankheit wird bei Kindern und Jugendlichen in seltenen Fällen mehrere Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion eine schwere hochfieberhafte Allgemeinerkrankung mit überschießender Entzündungsreaktion beobachtet (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS)); ein Teil der betroffenen Patienten müsse intensivmedizinisch behandelt werden. Seit Pandemiebeginn wurden im Register der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie aus über der Hälfte aller deutschen Kinderkliniken insgesamt ca. 700 PIMS-Fälle gemeldet (Stand Februar 2022). Die tatsächliche Zahl werde aufgrund der annehmbaren Untererfassung höher liegen.

Long-COVID möglich aber keine validen Daten

Long-COVID-Symptome werden auch bei Kindern- und Jugendlichen beobachtet, allerdings deutlich seltener als bei Erwachsenen. Langfristige Symptome nach einer SARS-CoV-2-Infektion lassen sich – gerade bei jüngeren Kindern – schwer von Belastungssymptomen im Zusammenhang mit der Pandemie unterscheiden. Valide Daten zur Häufigkeit, Schwere und Prognose gebe es bisher nicht. Die Krankheitslast hinsichtlich kognitiver, psychischer und physischer Folgen insbesondere bei Jugendlichen müsse allerdings ernst genommen werden, betonen die Mitglieder des Expertenrats.

Kitas und Schulen: viele Kontakte

Kitas, Schulen und Betreuungseinrichtungen bergen durch die hohe Zahl an Kontakten unmittelbare Infektionsrisiken. Wissenschaftler, Institutionen und Betroffenenverbände haben eine AWMF-S3-Leitlinie entwickelt, die Schulen konkrete Empfehlungen für Maßnahmen unter Pandemiebedingungen gibt. Untersuchungen zeigen laut der Stellungnahme, dass nach den Ferien jeweils mehr Infektionen als erwartet detektiert wurden; das lasse daran schließen, dass Testungen in Schulen zur Reduktion der Dunkelziffer und zur Erkennung von Infektionen und somit zum Infektionsschutz beitragen könnten. Einrichtungen in sozial benachteiligten Regionen und Brennpunkten seien besonders von SARS-CoV-2-Infektionen betroffen und benötigten besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Von besonderer Bedeutung außer der primären Krankheitslast seien die Beeinträchtigungen des seelischen und sozialen Wohlbefindens der Kinder und Jugendlichen einschließlich der substanziellen Verluste in Bildung, Sport und Freizeitgestaltung mit allen kumulativen Langzeitauswirkungen. In Deutschland und anderen Ländern würden im Längsschnitt vermehrte psychische Belastungen und psychiatrische Krankheitsbilder wie Depression, Anorexie und Bulimie sowie eine Zunahme von Adipositas berichtet. Auch die exzessive Mediennutzung sei weiter gestiegen. Besonders ausgeprägt seien die beschriebenen Effekte bei Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien in Folge von Armut, Bildungsferne, Migrationshintergrund oder fehlenden Sprachkenntnissen.

Impfung der Kinder kein Ersatz der Impfung Erwachsener

Der Expertenrat begrüßt, dass Impfstoffe für Kinder ab 5 Jahren zugelassen sind. Für die Impfempfehlung der STIKO stehe der Individualnutzen für Kinder durch die Impfung im Vordergrund, die sowohl vor schwerer Erkrankung als auch vor infektionsbedingten Folgeerkrankungen schütze. Die vollständige Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens dürfe jedoch nicht vom SARS-CoV-2 Impfstatus abhängig gemacht werden. Die Impfung der Kinder und Jugendlichen könne dazu beitragen, die Sozialsysteme Schule, Kita sowie Freizeit- und Sportangebote zu stabilisieren. Sie ersetze nicht das Schließen von Impflücken bei Erwachsenen.