Corona-Expertenrat stellt drei Pandemie-Situationen vor
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Von Michael van den Heuvel
Im Herbst und Winter werden die COVID-19-Inzidenzen wieder ansteigen, darin sind sich Experten einig. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hat angekündigt, zusammen mit Vertretern der Länder Maßnahmen auszuarbeiten. Die Grundlage dazu, eine Stellungnahme des Corona-Expertenrats, wurde jetzt veröffentlicht.
„Bund und Länder haben es in der Vergangenheit versäumt, sich auf absehbare neue Infektionswellen in der Corona-Pandemie ausreichend vorzubereiten“, kommentiert Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. „Die Folgen waren schlecht aufeinander abgestimmte und oftmals wenig durchdachte Maßnahmen.“ Deshalb sei es gut, dass sich die Politik jetzt auf wissenschaftlicher Grundlage auf die kommenden Monate vorbereite.
„Die Empfehlungen des Expertenrates sind eine gute Grundlage für den Umgang mit der Pandemie“, so Reinhardt weiter. „Das Bundesgesundheitsministerium muss jetzt das weitere Vorgehen gemeinsam mit den Ländern im Detail abstimmen.“ Das sei in Anbetracht der von dem Expertenrat formulierten Empfehlungen ein „anspruchsvoller Zeitplan“. Wichtig sei, auf alle 3 in der Stellungnahme genannten Szenarien vorbereitet zu sein, ohne sich schon heute auf bestimmte Maßnahmen festzulegen.
Die Ausgangslage
Ein Blick auf Details. Verglichen mit den früheren Corona-Jahren hat sich die Ausgangslage verändert. Ein Großteil aller Menschen ist geimpft bzw. aufgrund überstandener Infektionen immunisiert. Impflücken gibt es dennoch.
Gleichzeitig sind neue besorgniserregende Varianten aufgetreten, die mit einem leichteren Krankheitsverlauf in Verbindung stehen. „Dadurch ergibt sich … ein Strategiewechsel von den bisherigen Ansätzen der Eindämmung (Containment) zu Ansätzen des Schutzes vulnerabler Gruppen (Protektion) und der Abmilderung schwerer Erkrankungen (Mitigierung)“, schreibt der Expertenrat.
Dass neue Varianten mit stärkerer Immunflucht auftreten werden, ist zumindest möglich. Dem steht die Möglichkeit gegenüber, dass sich die intrinsische Virulenz weiter abschwächt. Daraus leitet das Gremium verschiedene Szenarien für das Halbjahr 2022/2023 ab.
1. Das günstigste Szenario
Die Wintersaison ist geprägt von einer neuen, im Vergleich zu Omikron noch weniger krankmachenden Variante. Sie wird eine stärkere Kontagiosität bzw. eine stärkeren Immunflucht geprägt, denn ansonsten würde sie derzeit zirkulierende Varianten nicht verdrängen.
Impfungen bieten einen gewissen Schutz, und es kommt kaum zu schwerem COVID-19. Vulnerable Gruppen benötigen dennoch besondere Aufmerksamkeit. Ansonsten sind kaum weitere Maßnahmen möglich. Viele Kinder werden sich – oft symptomlos – infizieren. Als nicht-pharmakologische Option zur Kontrolle der Situation kommen Masken infrage, vor allem in geschlossenen Räumen.
2. Das Basisszenario
Die Krankheitslast in diesem Szenario bleibt auf einem ähnlichen Level wie bei BA.4, BA.5 und BA.2.12.1. In der kalten Jahreszeit kommt es vermehrt zu Infektionen und zu Krankschreibungen, auch im medizinischen Bereich. Deshalb sind trotz moderater Krankheitslast durch COVID-19 Engpässe in der Versorgung möglich. Die Autoren rechnen mit neuerlichen Einschränkungen wie einer Maskenpflicht, Abstandsregeln bzw. Obergrenzen für Veranstaltungen.
3. Das ungünstigste Szenario
Hier gehen die Experten davon aus, dass eine neue Virusvariante mit verstärkter Immunflucht respektive Übertragbarkeit und erhöhter Krankheitsschwere vorherrschend ist. Sie führt vor allem bei Risikopatienten zu schwerem COVID-19; entsprechend überlastet sind die Krankenhäuser und deren Intensivstationen. In der Situation müssten Politiker neben nicht-pharmazeutischen Maßnahmen beispielsweise Impfzentren oder das Kleeblatt-Konzept zur Verteilung von Patienten reaktivieren. Neue Vakzine könnten die Lage stabilisieren, doch die Zeit von der Forschung und Entwicklung bis zur Zulassung und zur Produktion lässt sich schwer abschätzen.
Ziele künftiger Strategien
Der Regierung stehen unterschiedliche nicht-pharmakologische Tools zur Verfügung. Bei der Auswahl sollte sie darauf achten, wecke spezifischen Ziele sie erreichen möchte:
- Vermeidung schwerer Krankheitsfälle und Todesfälle, speziell bei vulnerabler Personengruppen
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Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems
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Vermeidung der Überlastung der kritischen Infrastruktur
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Vermeidung gesundheitlicher Spätfolgen, insbesondere Long/Post-COVID
Die nächsten Monate planen
Die Autoren betonen, wie wichtig jetzt eine vorausschauende Planung sei. Sie identifizieren 5 Kernbereiche:
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Datenerhebung und Bild der Lage in Echtzeit: Wie von der WHO empfohlen sollten regelmäßig Parameter zur Beschreibung der Pandemie und der Schwere von COVID-19 erfasst werden.
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Datenanalyse und Prognose: Auf Grundlage der Daten werden Prognose zur Infektionsdynamik und zur Belastung des Gesundheitssystems entwickelt.
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Verhaltensmanagement und Kommunikation: Bund und Länder sollten Maßnahmen entwickeln, um Bürger bei zentralen Themen zu erreichen, etwa bei dem Versuch, Impfquoten zu verbessern.
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Prävention: Bundesweit einheitliche, klare Kriterien zur Vorbeugung überzeugen Bürger am ehesten.
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Richtlinien für Maßnahmen: Wichtig ist auch, festzulegen, wann bestimmte Maßnahmen der Pandemiekontrolle ein gesetzt werden.
Durch diese 5 Bereiche sei eine schnelle Reaktion auf das Infektionsgeschehen möglich, heißt es im Dokument.
Wie geht es weiter?
Mit dem jetzt veröffentlichten Entwurf ist es nicht getan. Eine Evaluierung der Maßnahmen soll bis Ende Juni folgen. „Zwischen dem 30. Juni und dem Ende der Sommerpause werden wir gemeinsam mit den Ländern beraten, was zu tun ist“, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann. Am 23. September verliert das Infektionsschutzgesetz in seiner aktuellen Fassung seine Gültigkeit.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Medscape.de.
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