Corona-Expertenrat: neue Stellungnahme macht etwas Hoffnung
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Der Expertenrat der Bundesregierung hat seine sechste Stellungnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Danach hält der Rat Lockerungen für möglich, warnt aber zugleich vor übereiltem Handeln. Den politisch Verantwortlichen empfiehlt der Rat, „vorausschauende Öffnungsstrategien" zu planen.
Personalausfall in allen Bereichen des öffentlichen Lebens
Die Zahl der SARS-CoV-2 Infektionen ist laut der Stellungnahme bisher kontinuierlich gestiegen, eine Plateaubildung und ein nachfolgender Abfall für die Omikron-Welle (BA.1)seien aber in den kommenden Wochen zu erwarten. Für diesen Zeitpunkt sei es wichtig, vorausschauend Öffnungsstrategien zu planen. Im Vergleich zu vorhergehenden Infektionswellen komm es gegenwärtig durch die starke Immunflucht der Omikron-Variante auch zu vermehrten Infektionen unter Geimpften und Genesenen; der Verlauf sei jedoch häufig leicht bis moderat. Diese Infektionswelle sei insbesondere durch einen erhöhten Krankheits- und Quarantäne-bedingten Personalausfall in allen Bereichen des öffentlichen Lebens gekennzeichnet.
Die Krankenhaus-Belegungszahlen für Patienten mit der Haupt- oder Nebendiagnose COVID-19 hätten in den vergangenen Wochen stark zugenommen, heißt es in der Stellungnahme weiter. Die Neuaufnahmen auf die Intensivstationen nähmen ebenfalls kontinuierlich zu. Ein Teil der hospitalisierten Patienten habe aktuell die Nebendiagnose COVID-19. Der hohe Betreuungsaufwand auch dieser Patientengruppe insbesondere aus pflegerischer Sicht bleibe bestehen.
Omikron-Linie BA.2 fitter als BA.1
Während die aktuelle Omikron-Welle durch die BA.1 Subvariante geprägt ist, nehmen der Anteil und die Zahl der Infektionen durch die Omikron-Linie BA.2 (21L) zu. Nach bisherigen Erkenntnissen hat BA.2 gegenüber BA.1 einen Fitnessvorteil, ist also vermutlich noch leichter übertragbar. Über die Krankheitsschwere bei Infektionen mit BA.2 liegen noch keine ausreichenden Erkenntnisse vor. Die Ausbreitung von BA.2 könnte jedoch zu erneut steigenden Inzidenzen und zu einer Verlängerung der Omikron-Welle führen. Dies sei aktuell jedoch noch nicht vorhersagbar.
Ausser den über 60-Jährigen und Menschen mit schweren Grunderkrankungen hätten ungeimpfte Menschen allerdings das höchste Risiko für schwere Krankheitsverläufe auch durch Omikron-Infektionen. Mit aktuell zunehmenden, wenn auch vergleichsweise noch geringen Inzidenzen in der Altersgruppe über 60 Jahre, werde sich die Intensivbelegung dieser Altersgruppe weiter erhöhen. Weiterhin würden ungeimpfte und ältere Personen im Rahmen von Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich wieder vermehrt ins Infektionsgeschehen eingebunden.
Bemessungsgrundlage für Infektionsschutzmaßnahmen
Die 7-Tage-Inzidenz war in den vorangegangenen Wellen ein wichtiger Frühwarnindikator. Aufgrund der veränderten Grundbedingungen durch eine erhöhte Immunitätslage in der Bevölkerung, Abschwächung der Omikron-Variante bezogen auf die Krankheitsschwere und die Einbeziehung der Geimpften in das Infektionsgeschehen bleibt die Krankenhausbelegung dem Expertenrat zufolge zwar weiter an die Inzidenz gekoppelt, aber mit einem niedrigeren Umrechnungsfaktor. Die 7-Tagesinzidenz trete daher aktuell in den Hintergrund für die Bemessung der Infektionsschutzmaßnahmen. Die altersabhängige Inzidenz sei jedoch nach wie vor sehr hilfreich und bleibeauch im Jahresverlauf als Frühindikator wichtig.
In der jetzigen Phase der Pandemie seien Hospitalisierungsinzidenz und Neuaufnahmen sowie die Neuaufnahmen und Belegung der Intensivstationen mit COVID-19-Fällen entscheidende Parameter für die Beurteilung der Belastung des Gesundheitswesens.
Weiterhin sei der Trend der COVID-19 assoziierten Todesfälle ein wichtiger, wenn auch stark zeitverzögerter Parameter zur Einschätzung der Krankheitslast. Hier werde in den Europäischen Nachbarländern ein teils deutlicher, und im Vergleich zu den Inzidenzen zeitverzögerter, Anstieg beobachtet. Zur Einschätzung der Lage seien bei sehr hohem Infektionsgeschehen weiterhin Personalausfälle der kritischen Infrastruktur unbedingt zu beachten. Aus Sicht des Expertenrats sollten in dieser Phase der Pandemie die Krankheitslast und die Belastung des Gesundheitswesens die Bemessungsgrundlage für Infektionsschutzmaßnahmen sein.
Eine neue Phase der Pandemie
Die Omikron-Welle zeigt bisher verglichen mit vorangegangenen Infektionswellen höhere Inzidenzen, aber eine verminderte individuelle Krankheitslast. Allerdings gebe es zahlreiche Unsicherheiten aufgrund einer nach wie vor weitaus zu großen Immunitätslücke in der Bevölkerung, betonen die Experten. Die neue Phase der Pandemie erfordert weiterhin ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, effizientes Monitoring aller oben genannten Indikatoren, um ein verantwortungsvolles Zurückfahren von Infektionsschutzmaßnahmen zu ermöglichen.
Die Dauer dieser neuen Phase der Pandemie sei von zahlreichen Faktoren abhängig, wie der Impfquote und der Verbreitung neuer Virusvarianten; sie könne daher nicht präzise vorhergesagt werden. Nach bisherigen Erkenntnissen schützen Erstinfektionen mit der Omikron-Variante bei Menschen ohne Impfschutz nicht zuverlässig gegen Infektionen mit anderen Varianten. Spätestens im Herbst bestehe das Risiko erneuter Infektionswellen. Hierbei müsse bedacht werden, dass bisherige Virusvarianten wie der Delta Serotyp weiter zirkulieren und neue Infektionswellen auslösen könnten.
Ein Zurückfahren staatlicher Infektionsschutzmaßnahmen erscheine sinnvoll, sobald ein stabiler Abfall der Hospitalisierung und Intensivneuaufnahmen und -belegung zu verzeichnen sei. Ein zu frühes Öffnen berge die Gefahr eines erneuten Anstieges der Krankheitslast. Durch die Untervariante BA.2 müsse mit einer gegenüber aktuellen Schätzungen für BA.1 verlängerten bzw. wiederansteigenden Omikron-Welle gerechnet werden.
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