Neues Hüft- oder Kniegelenk: bitte nicht sofort ans Steuer!
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Wann sind Patienten nach Implantation einer Hüft- oder Knieendoprothese wieder in der Lage, Auto zu fahren? Da zu dieser Frage bisher ausreichend aussagekräftige Daten fehlten, haben Wissenschaftler an der Charité die Reaktionszeit und Bremskraft von Patienten nach Implantation solcher Endoprothesen untersucht.
Den Wissenschaftlern zufolge sind Patienten mit einer Hüftprothese frühestens vier Wochen nach der Operation wieder fahrtüchtig. Nach Implantation einer Knie-Prothese sollten sie sogar mindestens sechs Wochen warten, bis sie wieder ein KFZ steuern. „Mit diesen Daten können wir unsere Patienten bezüglich ihrer Rückkehr in den Straßenverkehr gut beraten“, so die AE – Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik in einer Mitteilung. Nach wie vor entscheidend bleibe jedoch der Gesamtzustand der Patienten. Dazu gehörten etwa die grundsätzliche Leistungsfähigkeit, Begleiterkrankungen sowie die Einnahme von Medikamenten, die müde machten.
„Die Fähigkeit, eine Notbremsung durchzuführen, gehört zu den zentralen Voraussetzungen, um sicher Auto zu fahren“, sagt Professor Dr. med. Carsten Perka, Generalsekretär der AE und Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité. Wesentlich beim Bremsvorgang sind eine intakte Reaktionszeit auf den Bremsreiz (BRT) sowie Kraft, das Bremspedal ausreichend zu betätigen, Bremspedalkraft (BPF). „An BRT und BPF sind Muskeln beteiligt, die sich - auch nach muskelschonenden Operationen, wie wir sie heute meist durchführen -, erst wieder regenerieren müssen“, erklärt der Orthopäde und Unfallchirurg. „BRT und BPF gehören deshalb zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit dazu.“ Bis heute habe jedoch keine Studie die Kombination dieser Parameter untersucht.
Fahrtauglichkeit nach Hüft-Op
An ihrer prospektiven Studie zur Fahrtauglichkeit nach Implantation einer Hüftprothese haben 25 Patienten (15 Männer, 10 Frauen, Durchschnittsalter 51,3 Jahre, BMI 26,8 kg/m2) teilgenommen. Alle Patienten wurden minimal-invasiv mit einem zementfreien Implantat rechts versorgt. Die Bremsfähigkeit der Patienten für Notbremsungen (Zeit und Kraft) wurde in einem Fahrsimulator mit einer Messsohle erfasst. Die Messungen fanden sechs Tage vor dem Eingriff sowie 2, 4 und 6 Wochen nach der Operation statt. Nach vier Wochen wurden den Wissenschaftler zufolge bei BRT und BPF keine statistisch signifikanten Unterschiede zum Zustand vor der Operation mehr gemessen.
Fahrtauglichkeit nach Knie-Op
Nach Implantation einer Knieprothese bestanden die Einschränkungen über einen längeren Zeitraum. An dieser Studie nahmen 30 Patienten (16 Frauen, 14 Männer, Alter 66 Jahre, BMI 22,5 kg/m2) teil, die rechts eine zementierte Endoprothese erhielten. Dabei wurden vor der Operation sowie 5 Tage, 3 bis 4 und 6 Wochen danach BPF, neuronale Reaktionszeit (NRT), Bremsreaktionszeit (BRT) und subjektive Parameter (Schmerz, selbst wahrgenommene Fahrtüchtigkeit) gemessen. Hier war die BPF der einzige messbare Parameter, der sich nach der Operation zunächst signifikant verschlechterte (p< 0.01). Erst nach sechs Wochen hatten die Werte wieder das Ausgangsniveau erreicht. Aber auch die Patienten stuften ihre eigene Fahrtüchtigkeit erst zu diesem Zeitpunkt wieder als „gut“ ein. Auffällig waren in dieser Studie auch die erheblichen Differenzen der Werte zwischen den Patienten. „Insofern erscheint es hier zielführender, statt absoluter Schwellenwerte eher den einzelnen Patienten zu betrachten und seine Parameter vor und nach der OP zu vergleichen“, so Perka.
Dies betont auch Privatdozent Dr. Stephan Kirschner, Präsident der AE und Direktor der Klinik für Orthopädie in den ViDia Kliniken in Karlsruhe: „Bei der Wiederaufnahme der Fahraktivität sollte immer die Betrachtung des Individuums im Vordergrund stehen. Im Zweifel gelte es, Geduld zu haben und länger zu warten, denn eine Gefährdung des Straßenverkehrs könne laut Strafgesetzbuch (StGB) § 315c eine Straftat sein.
Und was ist mit Sport?
Zu den Fragen, die Patienten mit Hüft- oder Knieprothesen oft stellen, zählen auch die, ob sie Sport treiben können und welche Sportarten „erlaubt“ sind und welche nicht. Denn viele der Patienten wollen nicht einfach nur wieder schmerzfrei sein, sie wollen auch Sport treiben. Und sie sollen es auch, denn körperliche und sportliche Aktivität verbessert die knöcherne Integration von Prothesen, senkt das Lockerungsrisiko, steigert die muskuläre Leistungsfähigkeit und reduziert das kardiovaskuläre Risiko.
Diskrepanz zwischen Labortests und „Realität“
Der Fortschritt der Implantat-Technik macht dies im Prinzip auch möglich; moderne Materialpaarungen für den Ersatz von Hüftpfanne und Hüftkopf erlauben mittlerweile einen aktiveren Lebenswandel als noch zu Beginn der Endoprothetik.
In den letzten Jahren sei es durch die Entwicklung neuer Gleitpaarungen zu einer deutlichen Verbesserung gekommen sei, erklärt etwa Prof. Dr. Thomas Tischer von der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Rostock. Einen wichtigen Beitrag zu diesen Fortschritten leisten Material- und biomechanische Tests von Endoprothesen und anderen Implantaten. Aber zwischen Experimenten in einem Labor und der „Realität“ außerhalb gibt es nunmal Diskrepanzen. Fünf Millionen Belastungszyklen würden dem Orthopäden zufolge bei einer täglichen Schrittzahl von 10.000 (5.000 pro Gelenk) bereits nach 1000 Tagen oder knapp drei Jahren erreicht. So wirkten auf das endoprothetisch ersetzte Hüftgelenk beim normalen Gehen bereits Kräfte bis zum 2,5-Fachen des Körpergewichts; beim Joggen beträgt der Spitzenbelastungsfaktor pro Kilogramm Körpergewicht etwa fünf, beim alpinen Skifahren sogar acht.
Erwartungshaltung sollte realistisch sein
Was folgt nun daraus? Grundsätzlich sollten Patienten mit Endoprothese vor einer Sportausübung sportorthopädisch und internistisch untersucht werden, raten Tischer und auch andere Spezialisten. Dringend zu empfehlen sei auch eine Abstimmung mit dem Operateur. Obgleich die moderne Endoprothetik ein hohes Qualitätsniveau erreicht hat, ist ein Kunstgelenk nur ein Ersatzgelenk und nicht ebenso so gut wie ein gesundes natürliches Gelenk. Es sollten, so Tischer, daher keine übertriebenen Erwartungen geschürt werden. Arzt und Patient sollten realistische Erwartungshaltungen haben.
Etwas Gnade braucht die Wade
Allgemeingültige und evidenzbasierte Kriterien und Indikationen für das Sporttreiben mit Endoprothese lassen sich laut Tischer nicht formulieren. Notwendig sei stets eine individuelle Beratung. Zu beachten seien dabei verschiedene Aspekte, ausser der Sportart auch die Belastungszeit, die Belastungsintensität, außerdem die Spitzenbelastung. Radfahren zum Beispiel werde oft als geeignete Sportart empfohlen. Aber auch hier sei Maßhalten angesagt. Jährliche Kilometerleistungen von 30.00 bis 40.000, wie sie bei Rad-Profi üblich sind, sollten sich Endoprothesen-Träger sicher nicht zumuten. Etwas Gnade haben ihre Waden schon nötig.
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