Borderline-Störung: Senken ADHS-Medikamente das Suizid-Risiko?

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Suizidales Verhalten tritt bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung unter verschiedenen Klassen von Psychopharmaka unterschiedlich häufig auf. Unter ADHS-Medikamenten wie Methylphenidat war das Risiko signifikant reduziert, unter Benzodiazepinen deutlich erhöht.

Hintergrund

Personen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPD) haben ein stark erhöhtes Suizid-Risiko. Zwischen 5 und 10 % der Patienten nehmen sich das Leben und die Lebenszeitprävalenz für suizidale Gedanken bzw. suizidales Verhalten liegt nach Schätzungen zwischen 84 und 94 %. Umgekehrt haben mehr als die Hälfte aller Personen, die wegen eines Suizidversuches in eine psychiatrische Klinik aufgenommen werden, eine BPD. Inwiefern eine Pharmakotherapie das Risko verringern kann, sei unbekannt, schreiben die Autoren der aktuellen Studie.

Design

Studie zur relativen Wirksamkeit pharmakologischer Therapien gegenüber dem Risiko suizidalen Verhaltens bei Personen mit BPD. Anhand landesweiter schwedischer Datenbanken wurden dazu Patienten zwischen 16 und 65 Jahren identifiziert, die in den Jahren 2006 bis 2021 wegen einer BPD stationär oder in einer Spezialambulanz behandelt wurden oder krankgeschrieben wurden, oder eine Invalidenrente erhielten. Die Patienten dienten dabei jeweils als ihre eigene Kontrolle – das heißt, es wurden der Medikamentengebrauch und der zeitliche Verlauf der BPD gegenübergestellt.

Da bekanntlich eine Pharmakotherapie bei BPD häufig während suizidalen Verhaltens initiiert wird, könnte dies negative Assoziationen verstärken, bevor die Behandlung wirksam wird. Um solch eine protopathische Verzerrung auszuschließen, haben die Autoren Sensitivitätsanalysen durchgeführt, bei denen die ersten 1 oder 2 Monate der Medikamentenexposition aus der Nachverfolgung herausgerechnet wurden.

Ergebnisse

  • Es wurden 22.601 Patienten identifiziert. Sie waren zu 84,3 % weiblich und im Mittel 29,2 Jahre alt.
  • Während der bis zu 16 Jahren (Durchschnitt 6,9) langen Nachverfolgungszeit wurden 8513 Klinikeinweisungen wegen Suizidversuchen beobachtet, sowie 316 vollendete Suizide.
  • Das Risiko von versuchten und vollendeten Suiziden war geringer, wenn die Patienten Medikamente gegen die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) einnahmen, als wenn sie dies nicht taten. Das Chancenverhältnis HR betrug 0,83 bei einem 95%-Konfidenzintervall von 0,73 – 0,95 und war statistisch signifikant (P = 0,001).
  • Unter Stimmungsstabilisatoren (Lamotrigin etc.) war das Risiko nahezu unverändert (HR 0,97; 95%-KI 0,87 – 1,08; P = 0,99).
  • Mit einem erhöhten Risiko assoziiert war der Gebrauch von Antidepressiva (HR 1,38; 95%-KI 1,25 – 1,53; P < 0,001) sowie von Antipsychotika (HR 1,18; 95%-KI 1,07 – 1,30; P < 0,001).
  • Das höchste Risiko wurde unter der Einnahme von Benzodiazepinen beobachtet. Hier betrug der HR 1,61 (95%-KI 1,45 – 1,78; P < 0,001).

Klinische Bedeutung

Unter den häufig bei BPD verschriebenen psychoaktiven Wirkstoffen waren lediglich ADHS-Medikamente mit einer Reduktion des suizidalen Verhaltens assoziiert. Die Autoren sprechen zwar nicht von einem kausalen Zusammenhang. Da sie sich mit ihren Sensitivitätsanalysen jedoch bemüht haben, eine Verzerrung auszuschließen, ist dieser Zusammenhang ebenso beachtenswert wie die Warnung: „Benzodiazepine sollten bei Patienten mit BDP mit Vorsicht eingesetzt werden.“

Finanzierung: Finnisches Ministerium für Soziales und Gesundheit.