Biobank-Studien weisen auf neurotrope Viren als Risikofaktor für Hirnerkrankungen
- Michael Simm
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
Die Auswertung zweier Biobanken aus Finnland und Großbritannien ergab eine Vielzahl von Assoziationen zwischen Infektionen mit – meist neurotropen – Viren und einem erhöhten Risiko für Demenzen und andere neurodegenerative Erkrankungen. 22 von 45 dieser Assoziationen konnten repliziert werden, wobei das höchste Chancenverhältnis für eine Alzheimer-Erkrankung nach viraler Enzephalitis gefunden wurde.
Hintergrund
Eine wachsende Zahl von Hinweisen deutet auf einen Zusammenhang zwischen Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus und einem erhöhten Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken. Sorgen gibt es auch bezüglich der neurologischen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Für die Autoren der aktuellen Arbeit waren dies gute Gründe, systematisch nach potenziellen Verbindungen zwischen viraler Exposition und dem Risiko neurologischer Erkrankungen zu suchen.
Design
Suche („Deep-Mining“) nach potenziellen Assoziationen zwischen einer Reihe von Virusinfektionen und häufigen neurodegenerativen Erkrankungen bei Personen über 60 Jahren anhand der Biobank FinnGen (Finnland, mehr als 300000 Individuen) und zur Bestätigung in der UK Biobank (ca. 500000 Individuen, sowie eine zusätzliche Kontrollgruppe von ca. 100000 nicht verwandten und nicht erkrankten Individuen).
Ergebnisse
- Es fanden sich zunächst 45 signifikante Assoziationen in FinnGen, darunter konnten 22 durch die UK Biobank repliziert werden.
- Das höchste Chancenverhältnis HR fand sich für eine Assoziation zwischen viraler Encephalitis und der Alzheimer-Krankheit mit Werten von 30,72 (95%-Konfidenzintervall 11,84 – 79,68) in FinnGen und 22,06 (95%-KI 5,47 – 88,94) in der Replikation. In absoluten Zahlen hatte dies 24 von 406 Personen entsprochen, die an einer viralen Enzephalitis erkrankt waren. Dies entspricht einem Anteil von 5,9 % gegenüber einer allgemeinen Prävalenz von 3 % in der Gesamtpopulation.
- Demenzen waren unter den am häufigsten replizierten Assoziationen und traten neben den viralen Enzephalitiden auch nach Infektionen mit Warzenviren auf, mit schweren Fällen von Influenza, Pneumonien und der Kombination beider Erkrankungen. Letztere Kombination war sowohl mit Morbus Alzheimer assoziiert, mit vaskulären Demenzen, und Demenzen insgesamt, als auch mit ALS und Morbus Parkinson. Die im Vorjahr gemeldete Assoziation zwischen Epstein-Barr-Viren und Multipler Sklerose wurde zwar auch in der Entdeckkohorte gefunden (HR 3,92), konnte aber nicht in der UK Biobank repliziert werden.
- Bei 81 % der replizierten Assoziationen waren neurotrope Viren beteiligt, was laut den Autoren nahelegt, dass die Erreger die kognitive Reserve vermindern und/oder zu einer Entzündung des Gehirns beitragen.
- Ein protektiver Effekt fand sich für keine der viralen Erkrankungen. Der zeitliche Rahmen, in dem die neurologischen Erkrankungen gehäuft auftauchten, lag bei 16 der 22 Assoziationen innerhalb eines Jahres, für 6 Assoziationen war der Zusammenhang 5 – 15 Jahre nach der Infektion noch signifikant.
Klinische Bedeutung
Trotz der Vielzahl gefundener und zur Hälfte auch replizierter Assoziationen zwischen viraler Exposition und einen erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen muss der Zusammenhang nicht kausaler Natur sein. Zwar fand eine US-Studie im Jahr 2021 ein um 12 % niedrigeres Demenzrisiko bei US—Veteranen, die mindestens 6 Influenza-Impfungen erhalten hatten, jedoch könnten Menschen, die sich impfen lassen, auch generell gesünder leben. Eine alternative Erklärung für die Funde der aktuellen Studie könnte auch sein, dass neurodegenerativer Erkrankungen im Prodromalstadium zu einer erhöhten Anfälligkeit für (neurotrope) Viren führen.
Finanzierung: Carlsberg Foundation; Leverhulme Trust; Swedish Research Council for Health, Working Life and Welfare; French National Research Agency, Université Paris Cité IdEx.
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