„Bei der TI funktioniert sehr wenig"

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Es ist ruhig geworden um den einst kämpferischen Hausärzteverband. Die Verträge laufen gut und die Praxen sind in diesen Zeiten besonders gefordert  – auch mit der digitalen Transformation – meint der Chef des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt im Interview. Sein Ziel, ein primarärztliches System, konnte er in seiner Amtszeit nicht durchsetzen.

Univadis: Herr Weigeldt, die Corona-Impfquote dümpelt bei 75 Prozent herum, geboostert ist nur knapp die Hälfte. Sind die noch Ungeimpften und noch nicht vollständig Geimpften für Impfungen noch zu gewinnen?

Ulrich Weigeldt: Es wird natürlich nicht leichter. Wer jetzt noch nicht geimpft ist, der ist auch nur schwer zu überzeugen. Ich glaube dennoch, dass man durch eine positivere und kreativere Kommunikation noch einige gewinnen kann – gerade was die Booster-Impfung, beziehungsweise die vierte Impfung für bestimmte Gruppen angeht. Die bisherige Ansprache mit den bekannten Slogans à la „Impfen hilft“ überzeugt offensichtlich zu viele nicht.

Univadis: Die bescheidenen Impfquoten – über Covid-19 hinaus – geraten in den Fokus. Die STIKO-Empfehlungen laufen häufig ins Leere. Können Hausärzte damit zufrieden sein?

Weigeldt: Es ist vollkommen richtig, dass die Impfquoten in Deutschland zu niedrig sind. Damit kann keiner zufrieden sein. Die, die zu uns in die Praxen kommen, die also für die Hausärztinnen und Hausärzte ansprechbar sind, werden nicht selten im Gespräch überzeugt. Ein Problem ist die mangelnde Koordination. Gerade bei den Patientinnen und Patienten, die keine Hausärztin oder keinen Hausarzt haben, gibt es niemanden, der klar die Verantwortung für die Impfungen übernimmt, sie an Auffrischungsimpfungen erinnert und so weiter. Das wäre aus meiner Sicht auch ein starkes Argument für ein primärärztliches System.

Univadis: Delegation und Substitution ist ein Evergreen der Selbstverwaltung. Delegation geht immer (VERAH & Co.) Welche (haus-)ärztlichen Aufgaben können denn substituiert werden?

Weigeldt: Medizinische Fachangestellte (MFA) sind ein unverzichtbarer Teil der hausärztlichen Versorgung. Durch die VERAH-Weiterbildung ist es gelungen, eine neue Perspektive für die Mitarbeiterinnen zu schaffen. Mit der Akademisierung gehen wir nun den nächsten Schritt. Auch das wird weiter dazu beitragen, die Hausärzte zu entlasten. Je nach Qualifikationslevel können MFA sehr verschiedene Aufgaben in den Praxen übernehmen. Es gibt keine pauschale Antwort darauf, was wer in der Praxis übernehmen kann, das muss am Ende die Hausärztin oder der Hausarzt vor Ort entscheiden. Wichtig ist, dass die Hausärzte dabei stets die Supervision übernehmen, denn am Ende des Tages tragen sie auch die Verantwortung.

Univadis: Der Corona-Bonus wird nur für Krankenhauspersonal gezahlt. Ist der Zug für die MFA nun endgültig abgefahren? Was hätten Sie sich für eine Form der Boni-Zahlung an die Praxisangestellten gewünscht?

Weigeldt: Stand Mai 2022 ist der Zug noch nicht abgefahren. Wir kämpfen weiter dafür. Unsere Idee ist, den Hausärzten die Möglichkeit zu geben, ihren MFA einen steuerfreien Bonus zu zahlen. Das würde auch mit sehr übersichtlichen Kosten für die Staatskasse einhergehen. Warum dieser Weg nicht bestritten wird, leuchtet mir überhaupt nicht ein. Die MFA haben in der Pandemie Außergewöhnliches geleistet.

Univadis: Dauerstressthema ist die Digitalisierung: Geben Sie uns einmal einen Einblick in den Praxisalltag, wo Digitalisierung funktioniert und wo nicht.

Weigeldt: Bei allem was mit der Telematikinfrastruktur zu tun hat, funktioniert leider sehr wenig. Die Liste an Beispielen ist schier unendlich. Der letzte ganz große Aufreger war, dass die Kartenlesegeräte in sehr vielen Praxen ständig abgestürzt sind. Das ist natürlich in einer vollen Praxis der Super-GAU. Dass jetzt auch noch die Konnektoren ausgetauscht werden müssen, führt zu zusätzlicher Frustration. Was funktioniert ist, wenn Ärzte selbst Anwendungen mitgestalten. Ein Beispiel ist die elektronische Arztvernetzung in Baden-Württemberg. Bei allem was von der Gematik kommt, fehlt die Anwenderperspektive komplett.

Univadis: Der Aufwand für einen Praxisinhaber wird immer größer. Nicht nur die Bürokratie nimmt zu, sondern das Knowhow für IT, Cybersicherheit etc. wird immer anspruchsvoller. Kann diesen technischen Professionalisierungsgrad eine kleine Praxis noch leisten?

Weigeldt: Das ist eine berechtigte Frage. Ohne externe Hilfe wird es immer schwieriger. Umso wichtiger ist, dass die Mehrwerte in der Versorgung für Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte spürbar sind. Davon sind wir bisher leider weit entfernt. Es macht keinen Spaß in IT zu investieren, wenn am Ende des Tages der Mehrwert nicht erlebbar ist. Dass es diesen Mehrwert geben könnte, bestreitet kaum jemand. Aber dafür müssen die Anwendungen eben auch funktionieren.

Univadis: Die elekronische Patientenakte (ePA) ist ja noch kaum bekannt. Wie sieht das denn in Ihrer Praxis aus? Machen Sie die Patienten aktiv auf die ePA und die Nutzung aufmerksam? Wie ist die Resonanz?

Weigeldt: Ich selbst vertrete inzwischen nur noch gelegentlich in der Praxis. Anders ist das mit dem Bundesvorsitz nicht zu vereinbaren. Die wenigsten Kollegen werden ihre Patienten aktiv auf die ePA hinweisen, denn sie ist schlichtweg nicht so ausgereift, dass sie in der Versorgung einen positiven Impact hat. Die meisten werden nicht einmal durch den Registrierungsprozess kommen, denn dieser ist bisher lächerlich komplex.

Univadis: Ist hier vielleicht auch eine Kampagne denkbar – so wie damals mit der 116117? Würde sich der Hausärzteverband beteiligen?

Weigeldt: Wenn die Anwendung funktioniert und alltagstauglich ist, dann muss sie natürlich auch bekannt gemacht werden. Da helfen wir gerne. An dem Punkt sind wir aber leider noch nicht.

Univadis: Die Regierung will hausärztliche Leistungen entbudgetieren – kommt das nicht angesichts der überwiegenden Pauschalhonorierungen 15 Jahre zu spät?

Weigeldt: Das grundsätzliche Ziel, das mit diesem Vorhaben einhergeht, ist begrüßenswert. Das Vergütungssystem ist jedoch inzwischen so komplex, dass man genau überlegen muss, welche konkreten Folgen bestimmte Änderungen im System hätten. Wir werden den Dialog mit der Politik suchen, um zu besprechen, wie das Ziel einer vernünftigen Honorierung von hausärztlichen Leistungen am besten erreicht werden kann.

Univadis: Es ist ruhig geworden um die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV). Ein Zeichen dafür, dass es so gut läuft oder ist die Luft für Weiterentwicklung raus?

Weigeldt: Die HzV-Verträge sind in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Inzwischen machen über acht Millionen Versicherte mit. Um einmal die Dimensionen klarzumachen: Das sind fast so viele wie es PKV-Vollversicherte gibt. Über sechs Millionen werden über die Servicegesellschaft der Hausärzteverbände abgerechnet. Wenn man sich das einmal vor Augen führt, sind das sehr starke Zahlen. Die HzV-Verträge haben im hausärztlichen Bereich wirklich für eine Trendwende gesorgt.