Beethovens Genom, seine Gebrechen und Laster - und sein Tod

  • Dr. med. Thomas Kron|Dr. med. Thomas Kron
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Kernbotschaften

Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, Ludwig van Beethovens Genom anhand von fünf genetisch übereinstimmenden Haarlocken des Komponisten zu entschlüsseln. Die Auswertung zeigt, dass Beethoven eine erbliche Veranlagung für eine Leberzirrhose hatte und mit Hepatitis B infiziert war, was - in Verbindung mit seinem Alkoholkonsum - wohl zu seiner schweren Lebererkrankung und damit zum Tod führte. Das Erbgut von heute lebenden Verwandten deutet zudem auf eine außereheliche Beziehung in Beethovens väterlicher Linie hin.

Mehrere Gebrechen und Vermutungen

Ludwig van Beethoven (1770-1827) gehört nach wie vor zu den einflussreichsten und populärsten Künstlern der klassischen Musik. Gesundheitliche Probleme beeinträchtigten seine Karriere als Komponist und Pianist erheblich, darunter fortschreitender Hörverlust, wiederkehrende Magen-Darm-Beschwerden und eine Lebererkrankung. Bisher bekannt war, dass Beethoven seine Brüder in einem 1802 verfassten Brief bat, seine Krankheit nach seinem Tod durch seinen Lieblingsarzt, Dr. Johann Adam Schmidt (1759-1809), beschrieben und veröffentlicht werden sollte. Medizinische Biographen haben seither zahlreiche Hypothesen zu den Ursachen der gesundheitlichen Beschwerden des Künstlers aufgestellt. Diese Forschungen stützen sich laut den den Autoren der aktuellen Publikation des internationalen Forschungsteams hauptsächlich auf Dokumente wie Beethovens Briefe, Tagebücher und Konversationsbücher sowie auf Berichte von Zeitgenossen, darunter ärztliche Notizen, ein Autopsiebericht und Beschreibungen von Skelettmaterial nach Exhumierungen in den Jahren 1863 und 1888. Darüber hinaus wurden Analysen von Gewebe durchgeführt, das angeblich von Beethoven stammt, etwa toxikologische Analysen von Haaren unbekannter Authentizität und paläopathologische und toxikologische Untersuchungen von Schädelfragmenten, von denen mindestens zwei nicht authentisch sind. Diese Analysen belegen mehrere gesundheitliche Probleme unterschiedlicher Schwere und Auswirkungen auf Leben und Karriere des Künstlers. Dazu gehörten vor allem eine beidseitige, spät einsetzende, fortschreitende und prä-dominant sensorineurale Schwerhörigkeit sowie chronische Magen-Darm-Probleme und, gegen Ende von Beethovens Leben, eine Lebererkrankung.

Fünf Haarsträhnen: mit „ziemlicher Sicherheit" von Beethoven

Um mehr über Beethovens Krankheiten, ihre Genese und über die Todesursache herauszufinden, hat das internationale Forschungsteam nun moderne archäogenetische Untersuchungsmethoden genutzt. Ihre in der Zeitschrift „Current Biology“ veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen, dass die DNA von fünf Haarsträhnen - die alle aus den letzten sieben Lebensjahren Beethovens stammen - einer einzigen Person zugeordnet werden können. Die genetischen Daten dieser Person weisen auf eine Herkunft hin, die mit der historisch gut erforschten Herkunft Beethovens übereinstimmt. Auf dieser Grundlage kommen die Forscher zu dem Schluss, dass diese fünf Locken mit „ziemlicher Sicherheit" authentisch seien. Das Hauptziel der internationalen Studie  war es, neue Erkenntnisse über Beethovens Gesundheitsprobleme zu erlangen. Dazu zählte bekanntlich ein fortschreitender Hörverlust.

Beethovens Hörprobleme begannen Mitte bis Ende der 20er Jahre und waren zunächst durch Tinnitus, Lautstärkereizung und den Verlust hoher Frequenzen gekennzeichnet. 1818 war der Komponist faktisch taub. Mit Mitte 40 beendete er seine Karriere als Künstler.

Mindestens seit seinem 22. Lebensjahr litt Beethoven außerdem unter starken gastrointestinalen Beschwerden, die sich durch sein ganzes Erwachsenenleben zogen und vor allem durch Bauchschmerzen und häufige Diarrhöen gekennzeichnet waren.

Im Sommer 1821 erlitt Beethoven zudem eine Gelbsucht, an der er mindestens ein weiteres Mal in seinem Leben erkrankte und die als ein Symptom seiner Lebererkrankung bekannt ist. Leberzirrhose gilt seit langem als die wahrscheinlichste Ursache für seinen Tod im Alter von 56 Jahren. Eine mögliche Ursache der Zirrhose war auch bei Beethoven übermäßiger Konsum alkoholischer Getränke.  Denn mehrere persönliche Notizen darauf hin, dass der Musiker regelmäßig und reichlich Wein trank. Ein enger Freund soll zum Beispiel erklärt haben, dass Beethoven in den Jahren 1825-1826 täglich mindestens einen Liter Wein zum Mittagessen getrunken habe. Einige medizinische Biographen vermuteten,  dass Beethoven alkoholabhängig war.

Dazu erklärt der Hauptautor der aktuellen Publikation Tristan Begg von der Universität Cambridge: „Beethovens 'Konversationshefte‘, die er im letzten Jahrzehnt seines Lebens benutzte, legen die Vermutung nahe, dass er sehr regelmäßig Alkohol konsumierte. Die genauen Mengen einzuschätzen, bleibt aber schwierig. Auch wenn die meisten seiner Zeitgenossen behaupten, sein Alkoholkonsum sei für Wiener Verhältnisse des frühen 19. Jahrhunderts mäßig gewesen, gibt es auch Quellen, in denen sich andere Aussagen dazu finden. Unserer Einschätzung nach dürfte es sich immer noch um Alkoholmengen gehandelt haben, von denen man heute weiß, dass sie für die Leber schädlich sind. Wenn Beethovens Alkoholkonsum über einen ausreichend langen Zeitraum hoch genug war, stellt die Wechselwirkung mit seinen genetischen Risikofaktoren eine mögliche Erklärung für seine Leberzirrhose dar."

Das Forschungsteam vermutet zudem, dass auch Beethovens Hepatitis-B-Infektion eine Mitursache für seine schwere Lebererkrankung gewesen ist, die im Zusammenspiel mit dem Alkoholkonsum und Beethovens genetischen Veranlagung zum Leberversagen und damit zum Tode führte. Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass derzeit nicht bestimmt werden kann, wie sich Beethoven mit dem Hepatitis-B-Virus infizierte und wie lange diese Infektion schon bestand.

Beethovens Schwerhörigkeit wurde mit mehreren möglichen Ursachen in Verbindung gebracht, darunter - wegen seines Kontaktes zu Prostituierten - die Syphilis, außerdem Krankheiten, die in unterschiedlichem Maße genetisch bedingt sind. Die Untersuchung der als authentisch geltenden Haarproben ergab keine einfache genetische Ursache für den Hörverlust. Axel Schmidt vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn erklärt: „Obwohl keine eindeutige genetische Ursache für Beethovens Schwerhörigkeit identifiziert werden konnte, kann man eine solche auch nicht völlig ausschließen. Die Referenzdaten, die für die Interpretation individueller Genome notwendig sind, werden stetig besser. Es ist daher möglich, dass Beethovens Genom in Zukunft Hinweise auf den Ursprung seiner Schwerhörigkeit liefern wird."

Todesursache: wahrscheinlich Zirrhose durch Hepatitis und Alkohol

Eine genetische Erklärung für Beethovens Magen-Darm-Beschwerden konnte ebenfalls nicht gefunden werden, aber anhand der Genom- Daten kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Gluten- und Laktoseintoleranz höchstwahrscheinlich als Ursachen ausgeschlossen werden können. Das gelte auch für das Reizdarmsyndrom, gegen das bei Beethoven sogar ein gewisser genetischer Schutz festgestellt worden sei. „Wir können nicht mit Sicherheit sagen, woran Beethoven gestorben ist, aber wir können jetzt zumindest das Vorhandensein eines erheblichen erblichen Risikos für eine Leberzirrhose und eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus belegen", sagt Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Wir können auch mehrere andere, weniger plausible genetische Ursachen ausschließen."
„In Anbetracht der bekannten Krankengeschichte ist es sehr wahrscheinlich, dass im Zusammenspiel genetische Veranlagung, Hepatitis-B-Infektion und Alkoholkonsum zu Beethovens Tod geführt haben. Künftig muss noch erforscht werden, in welchem genauen Umfang jeder einzelne Faktor beteiligt war", fügt Tristan Begg hinzu.

Authentifizierung von Beethovens Haaren 

Insgesamt führte das Team Authentifizierungstests an acht Haarproben durch, die aus öffentlichen und privaten Sammlungen im Vereinigten Königreich, Kontinentaleuropa und den USA stammen. Dabei entdeckten die Wissenschaftler, dass mindestens zwei der Haarlocken nicht von Beethoven stammten, darunter eine berühmte Locke, die der 15-jährige Musiker Ferdinand Hiller vom Kopf des damals kürzlich verstorbenen Komponisten abgeschnitten haben soll.

Frühere Analysen der „Hiller-Locke" unterstützten die Vermutung, dass Beethoven an einer Bleivergiftung litt, die zu seinen gesundheitlichen Beschwerden, einschließlich seines Hörverlusts, beigetragen haben könnte. William Meredith, der zu einem Team gehörte, das an früheren wissenschaftlichen Analysen von Beethovens sterblichen Überresten beteiligt war und zusammen mit Tristan Begg die vorliegende Studie initiiert hat, sagt: „Da wir jetzt wissen, dass die 'Hiller-Locke' von einer Frau und nicht von Beethoven stammt, trifft keine der früheren Analysen, die ausschließlich auf dieser Haarprobe basieren, auf Beethoven zu. Künftige Studien zur Untersuchung auf Blei, Opiate und Quecksilber müssen auf authentischen Proben basieren."

Die fünf Proben, die als authentisch identifiziert wurden und von ein und derselben Person stammen, gehören dem Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies in San Jose, Kalifornien, einem privaten Sammler, dem Mitglied der American Beethoven Society, Kevin Brown, und dem Beethoven-Haus in Bonn. Beethoven übergab eine der Locken (jetzt in Browns Sammlung) im April 1826 an den Pianisten Anton Halm mit den Worten: „Das ist mein Haar!". Beethovens gesamtes Genom wurde anhand einer weiteren Probe aus Browns Sammlung, der „Stumpff-Locke", sequenziert, die sich als die am besten erhaltene Probe erwies. Das Team fand zwischen der aus der Stumpff-Locke extrahierten DNA und Menschen, die im heutigen Nordrhein-Westfalen leben, die stärkste Verbindung, was auch mit Beethovens bekannter Herkunft seiner Vorfahren übereinstimmt.

Ein Familiengeheimnis 

Das Team analysierte auch das Erbgut von lebenden Verwandten Beethovens in Belgien, konnte aber bei keinem von ihnen eine Übereinstimmung mit dem Erbgut des Komponisten finden. Einige von ihnen haben laut genealogischen Studien einen gemeinsamen väterlichen Vorfahren mit Beethoven aus den späten 1500er und frühen 1600er Jahren, doch ihr Y-chromosomales Erbgut stimmte nicht mit dem Y-Chromosom überein, das in den authentischen Haarproben des Komponisren gefunden wurde. Das Forschungsteam kam zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich das Ergebnis von mindestens einem außerehelichen Ereignis - ein Kind aus einer außerehelichen Beziehung - in Beethovens direkter väterlicher Linie war. Die Studie legt nahe, dass dieses Ereignis in der direkten väterlichen Linie zwischen der Zeugung von Hendrik van Beethoven in Kampenhout, Belgien, um 1572 und der Zeugung von Ludwig van Beethoven sieben Generationen später, 1770, in Bonn, Deutschland, stattgefunden hat. Obwohl zuvor Zweifel an der Vaterschaft von Beethovens Vater geäußert worden waren, weil es keinen Taufeintrag gab, konnten die Forscher nicht feststellen, in welcher Generation dieses Ereignis stattfand.

Die Studie wurde geleitet von der Universität Cambridge, dem Beethoven Center San Jose und der American Beethoven Society, der KU Leuven, der Firma FamilyTreeDNA, dem Universitätsklinikum Bonn und der Universität Bonn, dem Beethoven-Haus Bonn und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.