Ayurveda in der Psychiatrie - Plädoyer für eine Integration

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Möglicherweise haben die Beatles einen gehörigen Anteil daran, dass die traditionelle indische Medizin in vielen westlichen Staaten, auch in Deutschland, bekannt wurde. Denn im August 1967 besuchten die legendären Pilzköpfe in London einen Vortrag des indischen Gurus Maharishi Mahesh Yogi über Techniken der Transzendentalen Meditation (TM). Im Februar 1968 machten sie dann einen Trip nach Rishikesh in Nordindien, um dort an einem Fortgeschrittenenkurs in TM teilzunehmen. Danach rührte insbesondere George Harrison die Trommel für’s indische Meditieren, was großen Anklang fand.

Auf der Suche nach Ruhe und dem Sinn des Seins

Gründe dafür, dass sich Komplementär- und Alternativmedizinisches bei vielen Menschen in den säkularisierten westlichen Ländern großer Beliebtheit erfreuen, gibt es mehrere: Ein Beweggrund soll, wie kürzlich die Mainzer Psychologen Pia Lamberty und Roland Imhoff berichtet haben, das Misstrauen gegenüber Macht sein, was den Glauben an Verschwörungstheorien fördere und dadurch auch die Neigung zu alternativmedizinischen Verfahren („Social Psychology“). Vor allen in Deutschland sei der Zusammenhang zwischen Verschwörungsmentalität und Befürwortung alternativer Methoden „unglaublich stark“, so Lamberty. Weitere Studien zeigten zudem, dass die psychologische Brücke zwischen Verschwörungsmentalität und Bevorzugung von Alternativmedizin in einem Misstrauen gegenüber Macht begründet liege. Weitere altbekannte Bewegunggründe für die Neigung zur Alternativmedizin sind die Unzufriedenheit mit der Schulmedizin und dem als Reparaturbetrieb empfundenen Gesundheitswesen, der enorme Stellenwert der Gesundheit in der Gesellschaft und das Bedürfnis, zusätzlich zu schulmedizinischen Maßnahmen selbst noch etwas für die Gesundheit zu tun, vielleicht auch der Reiz des „Exotischen“ und das Bedürfnis nach Entschleunigung, nach innerer Ruhe und die Suche nach einem Sinn im Leben. 

Ayurveda: in der westlichen Medizin zu wenig beachtet

Die Ayurveda-Medizin kommt diesen Bedürfnissen und Wünschen vieler Menschen entgegen - ähnlich vielleicht wie die Klostermedizin , die traditionelle mittelalterliche europäische Heilkunde. Denn auch ayurvedische Medizin ist Lebenskunst, Lebensführung und ganzheitliche Medizin, der es primär um die Prävention von Krankheiten geht, wie Professor Georg Juckel von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin der Universität Bochum und sein Kollege Dr. Knut Hoffmann erklären. Zu den Krankheiten, denen mit ayurvedischer Medizin vorgebeugt werden soll, zählen auch psychische Erkrankungen wie die Depression. Vorbeugende Maßnahmen seien hier „die Aufgabe jeglicher Aktivität, Askese, gesunder Schlaf sowie die Befreiung von der Sorge um sich selbst“ bei. Durch ayurvedische Methoden seien wahrscheinlich insbesondere die immunologischen Mechanismen bei psychotischen und affektiven Störungen beeinflussbar. Bis heute werde Ayurveda zwar teilweise sehr erfolgreich in Indien angewandt, berichten die Psychiater; die westliche Medizin, speziell die Psychiatrie, habe dies bislang aber nur unzureichend wahrgenommen.

Zentrale Elemente der Ayurveda-Medizin

Wesentlicher Bestandteil der Ayurveda-Medizin ist die Ernährung. Sie gehöre „zum Prinzip einer gesunden, präventiven Lebensführung“ gemäß dem Motto: „Wer richtig isst, braucht keine Medizin“. Ein weiteres wichtiges Element sind „Einläufe zur Darmreinigung und der Beeinflussung vor allem immunologischer Faktoren, aber eben auch der im Darm reichlich vorhandenen Nervenendigungen und entsprechender Neurotransmitter. Hinzu käme die „äußere Reinigung durch Waschen, Bäder, Güsse, Schwitzen, verschiedene Auflagenumschläge, äußerlich angewandte Medikamente, Einreibung…“

Einen großen Stellenwert in der Ayurveda-Medizin, auch bei psychische Störungen, hätten zudem „sogenannte körpertherapeutische Angebote, vor allem Berührung und Massage, und auch pflanzliche Therapien. Beispiele hierfür sind Shobhanas (Kurkuma) bei Infektionen, Rheuma, Arthrose, Entzündungen, Depression sowie Demenz und Dadima (Granatapfel) bei Herzschwäche, Colitis ulcerosa, Impotenz und Anämie. Zentrale Verfahren bei psychischen Störungen sind laut Buckel und Hoffmann aufklärende Gespräche, Konzentrationsübungen, Autohypnose, Versenkung in religiöse und philosophische Überlegungen, Trost, Bestärkung.

Mangel an naturwissenschaftlichen Belegen

Ein Problem auch der Aryuveda-Medizin ist der Mangel an ausreichenden Belegen im Sinne der modernen naturwissenschftlichen Medizin. Dies gelte insbesondere für randomisierte, kontrollierte Studien sowie Metaanalysen bei psychischen Erkrankungen. Ein solches Manko soll aber nicht allein bei der Ayurveda-Medizin existieren. Für fast kein pflanzliches Arzneimittel der rationalen Phytopharmakologie gibt es laut einer aktuellen Übersichtsarbeit überzeugende Wirksamkeits-Belege bei psychischen Erkrankungen. Es gebe nur eine Ausnahme, und zwar Johanniskraut-Extrakt bei Depressionen, so Dr. Dennis Anheyer und seine Kollegen (Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Knappschafts-Krankenhaus, Kliniken Essen-Mitte). 

Medizinethisch geboten

Nach Ansicht der Bochumer Psychiater wäre es „angezeigt, wenn sich die westliche Psychiatrie eingehender mit diesen Ansätzen beschäftigen würde“. Die kritische, westlich und auch wissenschaftlich geprägte Aneignung kom- plementär-medizinischer Verfahren wie Ayurveda sei ausgesprochen sinnvoll. Kernelemente mit belegter Wirkweise zu integrieren und das „augmentativ mit unseren psychiatrisch-psychotherapeutischen Methoden zu verbinden“, erscheine „angesichts des Elendes unserer psychiatrischen Erkrankungen“ mehr als notwendig und medizinethisch geboten. Es wäre, schreiben Juckel und Hoffmann, auch sinnvoll zur „Erweiterung unserer Kenntnisse im mentalen, aber auch neurobiologischen Sinne und zum Lernen von alten Kulturen, deren Wissen im Gegensatz vielleicht zur europäischen Geschichte bis heute bewahrt geblieben ist“. Genauso wie viele Volkssprichwörter sehr zutreffend im psychiatrischen Fachgebiet seien, könnten auch Volkswahrheiten und tieferes naturheilkundliches Wissen zur Gesundung von psychisch Kranken nützlich sein.