Autosomal-dominante Alzheimer-Krankheit: neue Gen-Variante ein Resilienz-Faktor?

  • Dr. med.Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Kernbotschaft

Ein Forscherteam um Dr. Diego Sepulveda-Falla vom Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf hat bei einem Mann eine neue Gen-Variante entdeckt, die mit einer mehr als zwei Jahrzehnte anhaltenden Resilienz gegenüber der autosomal-dominanten Alzheimer-Krankheit (ADAD) einhergeht. Es handelt sich dabei um eine Variante des Gens RELN, das für das Signalprotein Reelin kodiert. Über ihre Entdeckung berichten Sepulveda-Falla und seine Kollegen im Fachmagazin „Nature Medicine“. Es handelt sich bei dem Mann um den zweiten Patienten mit einem solchen genetischen Faktor; eine genetisch vermittelte Resilienz wurde auch schon bei einer Frau mit ADAD nachgewiesen.

Genetisch bedingt, früher Beginn

ADAD ist eine seltene vererbte Form der Alzheimer-Krankheit, die in den meisten Fällen durch spezifische Mutationen im Gen PSEN1 verursacht wird, das die Bauanleitung für das Transmembranprotein Presenilin 1 enthält. Die neurodegenerative Erkrankung zeichnet sich durch ein frühes Auftreten kognitiver Beeinträchtigungen wie Gedächtnisverluste aus;  typischerweise beginnen die Symptome im Alter von 40 bis 50 Jahren. 

Bei dem ersten Fall mit einer "schützenden Gen-Variante" handelte es sich um eine Frau mit ADAD, die die seltene Variante, Christchurch genannt, des Gens für Apolipoprotein E (APOE) in ihrem Genom trug und fast 30 Jahre lang kognitiv unbeeinträchtigt blieb.

Der Patient und seine Geschichte

Erstautor Francisco Lopera und seine Kollegen analysierten klinische und genetische Daten von 1200 Menschen aus Kolumbien, die Träger der PSEN1-Mutation und damit prädisponiert für die ADAD sind. Sie identifizierten einen Mann, der bis zum Alter von 67 Jahren kognitiv intakt blieb, obwohl er die PSEN1-E280A-Mutation für die früh einsetzende Alzheimer-Krankheit trug. Wie die Autoren berichten, absolvierte er in seinem Heimatland (Kolumbien) eine fünfjährige Ausbildung und arbeitete bis zu seiner Pensionierung mit Anfang 60. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Die erste kognitive Untersuchung im Alter von 67 Jahren ergab begrenzte verbale Lernfähigkeiten und Sprachschwierigkeiten im Zusammenhang mit funktioneller Unabhängigkeit. Im Alter von 70 Jahren wurde bei dem Patienten eine MCI (mild cognitive impairment) diagnostiziert, die durch eine Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses und des Redeflusses gekennzeichnet war. Im Alter von 72 Jahren hatte sich sein Sprachvermögen weiter verschlechtert; es entwickelte sich eine leichte Demenz. Der kognitive Verfall wurde durch eine Harnwegsinfektion und einen septischen Schock begünstigt. Im Alter von 73 Jahren benötigte der Mann Hilfe bei grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens und erfüllte die Kriterien für eine mittelschwere Demenz. Er starb im Alter von 74 Jahren an einer Aspirationspneumonie; seine Angehörigen stimmten einer Gehirnspende für neuropathologische Untersuchungen zu.

Hohe Amyloid-Belastung

Wie die APOECh-Trägerin wies der Mann eine extrem erhöhte Amyloid-Plaque-Belastung und eine begrenzte Belastung durch entorhinales Tau-Tangle auf. Der Mann war kein Träger der APOECh-Variante, sondern war heterozygot für eine seltene Variante von RELN (H3447R, nach der Colombia-Boston-Biomarker-Forschungsstudie COLBOS genannt); dabei handelt es sich um einen Liganden, der wie Apolipoprotein E an die VLDLr- und APOEr2-Rezeptoren bindet. RELN-COLBOS ist eine Gain-of-Function-Variante, die in einer Knockin-Maus eine stärkere Fähigkeit zur Aktivierung ihres Zielproteins Dab1 und zur Reduktion der menschlichen Tau-Phosphorylierung zeigt. Eine genetische Variante bei einem vor ADAD geschützten Menschel deutet auf eine Rolle der RELN-Signalübertragung bei der Resilienz gegenüber Demenz hin. Nach Angaben der Autoren sind allerdings weitere Untersuchungen notwendig.

Schwester auch an ADAD erkrankt

Seine Schwester war ebenfalls Trägerin der PSEN1-E280A-Mutation und litt bei der ersten Untersuchung im Alter von 64 Jahren an schwerer Demenz. Nach Angaben der Familie litt sie im Alter von 58 Jahren an Hypothyreose, Bluthochdruck, Depressionen und kognitivem Verfall und entwickelte die Demenz im Alter von 61 Jahren. Obwohl sie weniger geschützt war als ihr Bruder, begann ihre kognitive Beeinträchtigung (MCI) 14 Jahre und ihre Demenz 12 Jahre später als für diese Hochrisikogruppe erwartet. Die Frau starb im Alter von 73 Jahren an einer Sepsis pulmonalen Ursprungs. Genetische Analysen bestätigten, dass die Person ein heterozygoter Träger der PSEN1-E280A-Mutation war.

Auguste D.: ebenfalls "Alzheimer" durch Präsenilin-1-Mutation

Eine Präsenilin-1-Mutation hatte übrigens auch die wohl bekannteste Alzheimer-Patientin überhaupt. Die Rede ist von Auguste Deter. Sie war jene Patienten, bei der die neurodegenerative Krankheit erstmals beschrieben wurde - und zwar von dem Psychiater Alois Alzheimer.

Wissenschaftlern der Universitäten von Gießen und Sidney war es gelungen, die genetischen Ursachen der Alzheimer-Krankheit bei Auguste Deter aufzuklären. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden in einem Brief in der Zeitschrift „The Lancet Neurology“ publiziert.

Professor Ulrich Müller, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Gießen, und seiner Kollegin Pia Winter war es in Zusammenarbeit mit Professor Manuel Graeber, Neuropathologe an der Universität Sydney, gelungen, aus von Alzheimer angefertigten Hirnschnitten DNA zu isolieren. Mit dieser DNA von Auguste Deter suchten die Wissenschaftler nach Mutationen in einem der bekannten, bei frühen Erkrankungsformen mutierten Gene.  Beim Gen Präsenilin 1 (PSEN1) wurden sie fündig. Die Veränderung beeinträchtigt die Funktion eines Enzymkomplexes, zu dem das Protein Präsenilin 1 gehört. Die Mutation verändert die Funktion des Enzymkomplexes, die in der Spaltung von Eiweißen besteht, wobei Beta-Amyloid entstehen kann.

Im Alter von 56 Jahren gestorben

Auguste Deter war im November 1901 im Alter von 51 Jahren in die „Städtische Irrenanstalt Frankfurt am Main“ aufgenommen worden. Alois Alzheimer war damals Oberarzt der Klinik. Die lange gesuchte Krankenakte der Gattin eines Frankfurter Eisenbahn-Kanzlisten wurde allerdings erst 1995 gefunden. Der Grund für die lange Suche war, dass die Akte der im Alter von 56 Jahren gestorbenen Patientin falsch abgelegt worden war. Bei der Aufnahme hatte Auguste  Deter eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome, darunter Gedächtnis-, Sprach- und Orientierungsstörungen. Zudem hatte sie Halluzinationen; insgesamt wirkte sie paranoid.

Etwa ein halbes Jahr nach dem Tod von Deter berichtete Alois Alzheimer, inzwischen in München tätig, auf der 37. Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte erstmals über das später nach ihm benannte Krankheitsbild der Patientin. Anatomisch war das Gehirn unter anderem durch eine Atrophie der Hirnrinde und eine eigentümliche Fibrillenerkrankung der Nervenzellen gekennzeichnet. Besonders überrascht waren die Untersucher auch von Ablagerungen unbekannter Stoffwechselprodukte in Form von Plaques in der Hirnrinde mit leichten Wucherungserscheinungen an den Gefäßen. Die histologischen Befunde erinnerten Alzheimer und seine Kollegen an Befunde, die sie von der Dementia senilis kannten. Die Veränderungen waren bei Deter allerdings sehr ausgeprägt, obwohl sie bei ihrem Tod erst 56 Jahre alt war. Es musste sich also um eine präsenile Demenz handeln.