Auswirkungen des Missbrauchs von Kindern unterscheiden sich nach Geschlecht
- Liam Davenport
- Medizinische Nachrichten
Ein Trauma im Kindesalter betrifft Frauen und Männer bezüglich seiner Auswirkungen auf die nachfolgende Psychopathologie gleichermaßen. Wie neue Forschungsergebnisse zeigen, wirkt sich der Traumatyp jedoch später, je nach Geschlecht, unterschiedlich aus.
Die Forscher stellten fest, dass emotionaler und sexueller Missbrauch in der Kindheit bei Frauen größere Auswirkungen hatte als bei Männern, wohingegen Männer durch emotionale und körperliche Vernachlässigung stärkere Auswirkungen erfuhren.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Misshandlungen in der Kindheit das Risiko für psychiatrische Symptome bei Männern und Frauen erhöhen“, sagte die leitende Forscherin Thanavadee Prachason, Ph.D., Department of Psychiatry and Neuropsychology, Maastricht University Medical Center, Maastricht, Niederlande, in einer Pressemitteilung.
„Emotionaler oder sexueller Missbrauch in der Kindheit erhöht das Risiko einer Vielzahl von psychiatrischen Symptomen, insbesondere bei Frauen. Im Gegensatz dazu erhöht eine Vorgeschichte von emotionaler oder körperlicher Vernachlässigung in der Kindheit das Risiko für psychiatrische Symptome bei Männern stärker“, fügte Prachason hinzu.
Die Ergebnisse wurden hier auf dem Kongress der European Psychiatric Association (EPA) 2023 vorgestellt.
Ein führender Risikofaktor für psychische Erkrankungen
Laura Fusar-Poli, M.D., Ph.D., vom Department of Brain and Behavioral Sciences der University of Pavia, Pavia, Italien, die die Studie vorstellte, sagte, dass die unterschiedlichen Auswirkungen der Trauma-Subtypen auf Männer und Frauen darauf hindeuteten, dass sowohl das Geschlecht als auch die Art der in der Kindheit erlebten Traumata in zukünftigen Studien berücksichtigt werden müssten.
Einleitend stellte Fusar-Poli heraus, dass 13–36 % der Menschen irgendeine Art von Kindheitstrauma erlitten hätten – wobei 30 % der Betroffenen mindestens zwei Arten von Traumata ausgesetzt gewesen wären.
Ein Trauma wurde als Risikofaktor für eine Reihe psychischer Gesundheitsprobleme identifiziert.
„Es wird geschätzt, dass weltweit etwa ein Drittel aller psychiatrischen Erkrankungen mit Kindheitstraumata in Zusammenhang stehen“, so der leitende Forscher Sinan Gülöksüz, M.D., Ph.D., ebenfalls von der Maastricht University MC, in der Veröffentlichung.
Folglich „ist ein Kindheitstrauma ein führender vermeidbarer Risikofaktor für psychische Erkrankungen“, fügte er hinzu.
Frühere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Subtyp eines Traumas Auswirkungen auf die nachfolgenden biologischen Veränderungen und die klinischen Ergebnisse hat – und dass es bei den Auswirkungen des Kindheitstraumas Geschlechtsunterschiede gibt.
Um dies zu erforschen, untersuchten die Forscher Daten aus TwinssCan, einer belgischen Kohorte aus Zwillingen und Geschwistern im Alter von 15 bis 35 Jahren ohne Diagnose pervasiver psychischer Störungen.
Die Studie umfasste 477 Frauen und 314 Männer, die den Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) – Short Form sowie die Symptom Checklist 90 SR (SCL-90) ausgefüllt hatten, um die Exposition gegenüber Traumata in der Kindheit bzw. den Grad der Psychopathologie zu bestimmen.
Die Ergebnisse zeigten, dass die CTQ-Gesamtscores sowohl bei Männern als auch bei Frauen signifikant mit den SCL-90-Gesamtscores sowie mit jeder der neun Symptomdomänen des SCL-90 assoziiert waren (P < 0,001 für alle Beurteilungen). Dazu gehörten Psychotizismus, paranoide Gedanken, Angststörungen, Depression, Somatisierung, Zwangsstörungen, zwischenmenschliche Sensibilität, Feindseligkeit und phobische Ängste.
Bei den Assoziationen mit den CTQ-Gesamtscores gab es zwischen Männern und Frauen keine signifikanten Unterschiede.
Als die Forscher jedoch die Trauma-Subtypen und die Psychopathologie untersuchten, traten deutliche Geschlechtsunterschiede hervor.
Die Prüfärzte fanden eine signifikante Assoziation zwischen emotionalem Missbrauch im CTQ und den SCL-90-Gesamtscores – sowohl bei Männern (P < 0,023) als auch bei Frauen (P < 0,001) – die Assoziation war bei Frauen jedoch signifikant stärker (P = 0,043).
Bei Frauen war sexueller Missbrauch signifikant mit den SCL-90-Gesamtscores assoziiert (P < 0,001), während bei Männern die emotionale Vernachlässigung und die körperliche Vernachlässigung signifikant mit den Psychopathologie-Scores assoziiert waren (P = 0,026 und P < 0,001).
„Körperliche Vernachlässigung kann zum Beispiel darin bestehen, während des Aufwachsens nicht ausreichend zu essen zu bekommen, schmutzige Kleidung zu tragen, nicht versorgt zu werden und nicht zum Arzt gebracht zu werden“, sagte Prachason.
„Emotionale Vernachlässigung kann Kindheitserfahrungen umfassen, wie das Gefühl, nicht geliebt zu werden oder nicht wichtig zu sein und sich der Familie nicht nahe zu fühlen.“
Bei Frauen war emotionaler Missbrauch signifikant mit allen neun Symptomdomänen des SCL-90 assoziiert, während sexueller Missbrauch mit sieben assoziiert war: Psychotizismus, paranoide Gedanken, Angststörungen, Depression, Somatisierung, Zwangsstörungen und Feindseligkeit.
Körperliche Vernachlässigung sei bei Männern signifikant mit acht der Symptomdomänen assoziiert gewesen (alle außer Somatisierung), emotionale Vernachlässigung sei jedoch lediglich mit Depressionen verknüpft gewesen, berichtete Fusar-Poli.
„Diese Studie zeigte eine sehr wichtige Folge von Kindheitstraumata auf – und nicht nur bei Menschen mit psychischen Störungen. Ich möchte betonen, dass es sich um eine normale Population handelt, die aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen besteht, also das Alter widerspiegelt, in dem die Mehrheit der psychischen Störungen einsetzt,“ sagte Fusar-Poli.
Sie betonte, dass psychotische Störungen nur ein Teil des „breiten Spektrums“ an Erkrankungen seien, die mit einem Kindheitstrauma zusammenhängen könnten, das „Auswirkungen auf unterschwellige Symptome haben kann, die die Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität von Personen der normalen Population beeinträchtigen können“.
Auf die unterschiedlichen Beobachtungen bei Männern und Frauen eingehend, merkte Gülöksüz an, dass Frauen „für Kindheitstrauma anfälliger sind als Männer“ – einfach nur, weil „sie mehr sexuellem und emotionalem Missbrauch ausgesetzt sind“.
Dies sei jedoch „etwas, das wir wirklich verstehen müssen“, da es wahrscheinlich einen zugrunde liegenden Mechanismus gebe, „und zwar nicht nur einen biologischen, sondern wahrscheinlich einen gesellschaftlichen“.
Gülöksüz merkte an, dass es auch zwischen den Gesellschaften Unterschiede in Bezug auf die Auswirkungen von Kindheitstraumata geben könnte. „Unsere Stichprobe stammte aus Belgien. Aber was würde passieren, wenn wir diese Studie in Italien oder in Indien durchführen würden“, sagte er.
Beeinträchtigte kognitive, emotionale Funktion
Elaine F. Walker, Ph.D., Professorin für Psychologie und Neurowissenschaften an der Emory University in Atlanta, Georgia kommentierte die Ergebnisse und sagte, dass die Exposition gegenüber Stress im Allgemeinen – einschließlich Kindheitstraumata – „transdiagnostische Auswirkungen auf die Anfälligkeit für psychische Störungen hat“.
„Die Auswirkungen werden hauptsächlich durch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse vermittelt, die die Ausschüttung von Cortisol auslöst. Bei anhaltender Erhöhung [der Cortisolausschüttung] kann dies zu neurobiologischen Prozessen führen, die negative Auswirkungen auf die Hirnstruktur und die Hirnschaltkreise haben – was wiederum die kognitive und emotionale Funktion beeinträchtigt“, sagte Walker, die nicht in die Studie involviert war.
Sie merkte an, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der biologischen Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Subtypen von Kindheitstraumata zwar möglich seien, es aber auch sein könne, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wahrscheinlichkeit, Trauma-Subtypen ausgesetzt zu sein, der tatsächliche Schlüsselfaktor seien.
„Zurzeit gibt es keine spezifischen Behandlungsprotokolle, die auf die Behandlung der Trauma-Subtypen in der Kindheit ausgerichtet sind. Aber die meisten erfahrenen Therapeuten werden Informationen über die individuelle Trauma-Vorgeschichte der Person in ihre Behandlung mit einbeziehen“, fügte Walker hinzu.
Philip Gorwood, M.D., Ph.D., Leiter der Clinique des Maladies Mentales et de l'Encéphale am Centre Hospitalier Sainte Anne in Paris, kommentierte die Forschungsergebnisse ebenfalls und sagte, die Ergebnisse seien „wichtig ... da Kindheitstraumata mittlerweile eindeutig für die überwiegende Mehrheit der psychiatrischen Erkrankungen als Hauptrisikofaktor anerkannt werden, jedoch mit schlechten Kenntnissen über die Geschlechtsspezifitäten.“
„Zu verstehen, welche Aspekte eines Traumas je nach Geschlecht schädlicher sind, wird die Erforschung des Resilienzprozesses erleichtern. In der Tat werden viele Interventionsstrategien von einem stärker personalisierten Ansatz profitieren“, sagte er in einer Stellungnahme. Gorwood war nicht an dieser Studie beteiligt.
European Psychiatric Association (EPA) 2023 Kongress: Abstrakt O0049. Präsentiert am 27. März 2023.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf medscape.com veröffentlicht.
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