Auf dem Weg zum betreuten Leben durch Apple und Co.?

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Im Diskurs
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„Digital Health" ist seit einigen Jahren das Zauberwort des Silicon Valley; selbstverständlich haben auch Google und Apple den Gesundheitsmarkt längst als attraktives Betätigungsfeld entdeckt. Mit der iWatch bietet Apple nun seit wenigen Jahren ein Produkt an, mit der der Träger - so wie mit vielen anderen Uhren auch - unter anderem seinen Kalorienverbrauch und Puls kontrollieren kann. Inzwischen bietet diese smarte Uhr außer einer Sturzerkennung (mit Hilfe eines Beschleunigungssensors sowie eines Gyroskopes) und Notfall SOS sogar die Möglichkeit, ein Einkanal-EKG zu machen. Mit Hilfe einer weiteren App kann die Verdachtsdiagnose Vorhofflimmern gestellt werden. 

Die angeblich beste Uhr der Welt

So ganz neu ist das zwar nicht, denn eine EKG-App für die iWatch gibt es mit „AliveCor's KardiaBand 30-second ECG app“ schon auf dem Markt. Aber Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft. Und ganz in diesen Sinne verkündete Apple-Chef Tim Cook dann bei der Präsentation der neuen Uhr in Cupertino ganz unbescheiden, dass die neue iWatch nicht nur die führende Smartwatch sei, sondern auch die beste Uhr weltweit. Und für Cooks Vorstandskollege Jeff Williams ist die Uhr sogar der ultimative Gesundheits-Wächter. Diese Uhr inspiriere zu einem gesünderen Leben, verspricht das Unternehmen; sie helfe, alles besser zu managen – vom Alltagstress bis hin zu deinem Kalorienverbrauch. Gleichzeitig überwache sie die Herz­frequenz und informiere, wenn sie etwas Unge­wöhnliches feststelle. Und durch Sturzerkennung und Notfall SOS könne man sich jetzt noch sicherer fühlen. „Die neue Apple Watch passt auf dich auf – und behält dein Herz im Blick.“ Sie sei die Uhr für das bessere Ich.

Nicht nur Eigenlob

Großes, fast überschwängliches Lob kam bei der Präsentation nicht allein von den Chefs des Unternehmens, sondern auch von Dr. Ivor Benjamin, Präsident der „American Heart Association (AHA)“. Diese Uhr mit der EKG-App sei „game changing“, so Benjamin. Was er genau damit meinte, blieb allerdings im Dunkeln. Sogar die FDA, die der Apple-Software (in Europa nicht freigeschaltet) überraschend rasch und passend zur Präsentation in Cupertino Grünes Licht erteilt hat (sogenannte clearance, nicht approval) spricht von einer „disruptiven Technologie“. Zurückhaltender ist die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Sie erklärt in einer Mitteilung zwar, dass ein solches EKG ein „wertvolles Monitoring-Tool zur Etablierung wichtiger Informationen für Patienten und Ärzte darstellen" könnte. Allerdings betont die Fachgesellschaft:  „…auch wenn erste Studien die Verlässlichkeit des Devices stützen, birgt die Interpretation der Messergebnisse Risiken.“ Professor Dr. Peter Radke, Vorsitzender des Ausschusses Electronic & Mobile Health der DGK, sieht daher eine zwingende Notwendigkeit weiterer Studien zu dem Device: „Die Apple Watch 4 erweitert ihr Leistungsspektrum stetig von Fitnessapplikationen hin zu medizinischen Fragestellungen, wie aktuell der Detektion von Vorhofflimmern. Bevor auf dieser Datenbasis konkrete Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden können, beispielsweise die Einleitung einer Antikoagulation bei asymptomatischen Patienten mit einem in der Apple Watch 4 detektierten Vorhofflimmern, sind noch umfangreiche klinische Folgestudien notwendig.“

Nur zwei Studien

Weitere klinische Studien fordern Wissenschaftler, Studienautoren und Fachgesellschaften zwar so gut wie immer, aber in diesem Fall ist es mehr als nur eine Attitude und durchaus angebracht. Denn die wissenschaftlichen Belege, Ergebnisse von zwei Studien, die Apple der FDA vorgelegt haben soll, um von ihr Grünes Licht zu bekommen, haben offenbar Optimierungspotenzial. 

An der einen Studie haben nur 588 Probanden teilgenommen, von denen die Hälfte permanentes Vorhofflimmern hatte. Bei zehn Prozent der Teilnehmer konnte die Uhr den Herzrhythmus nicht klassifizieren, bei den übrigen 98,3 Prozent der Teilnehmer mit Vorhofflimmern wurde dies korrekt identifiziert. Dies galt auch für fast alle (99,6 %) ohne Vorhofflimmern. 

Bei der zweiten Studie handelt es sich um Daten von sogar nur 226 Teilnehmern der „Apple Heart Study“, bei denen die Uhr angezeigt hatte, dass sie möglicherweise Vorhofflimmern habee. Allerdings ergab die kontinuierliche Kontrolle mit einem ambulanten EKG über einen Zeitraum von im Mittel sechs Tagen nur bei knapp 42 Prozent der Teilnehmer Vorhofflimmern. 

Kritische Worte

Das besonders Ärgerliche daran ist nach Ansicht mancher Kardiologen jedoch, dass die Studien-Ergebnisse bisher in keinem Fachmagazin veröffentlicht worden sind, eine seriöse Beurteilung durch die „wissenschaftliche Gemeinde“ daher nicht möglich ist. Außerdem war die Prävalenz der Rhythmusstörungen in beiden Studien-Populationen sehr groß und sicher größer als in der Allgemeinbevölkerung; die Ergebnisse seien daher kaum relevant, so der US-Kardiologe Dr. Venkatesh Murthy von der Universität von Michigan in Ann Arbor. Bei den Konsumenten, die diese EKG-Funktion nutzen wollten, sei die Prävalenz der Rhythmusstörung eher sehr gering, die Wahrscheinlichkeit von falsch positiven Befunden daher groß, so auch der US-Kardiologe Professor Milton Packer (Dallas). Kritisch sieht die Daten auch der US-Wissenschaftler Professor Sekar Kathiresan (Massachusetts General Hospital). Der positive prädikative Wert betrage nur rund 45 Prozent.

Die möglichen Folgen falsch positiver Ergebnisse: Verunsicherung der Konsumenten, überflüssige Arztbesuche, eventuell schädliche Therapien und unnötige Kosten, außerdem Mehrarbeit für ohnehin überlastete Ärzte. Kritiker befürchten zudem, dass die doch sehr rasche Freigabe der Software durch die FDA nur der Beginn eines recht „laschen“ Umgangs der Behörde mit ähnlichen Produkten sei - und zwar im Rahmen eines speziellen Programms zur Förderung der „Digital Health".

Screening auf Vorhofflimmern sinnvoll?

Kernfrage in diesem Zusammenhang ist allerdings nicht nur, ob diese Uhr mit dem EKG-App usw. eine ausreichend hohe Sensitivität und Spezifität bietet, sondern ob ein Screening auf Vorhofflimmern überhaupt sinnvoll ist. 

Für ein solches Screening bei Menschen ab 65 spricht sich zum Beispiel in einem sogenannten „White Paper“ die AF-SCREEN International Collaboration aus. In dem internationalen Verbund AF-SCREEN haben sich über 100 Kardiologen, Neurologen, Hausärzte, Gesundheitsökonomen, Krankenschwestern, Apotheker und Vertreter von Patienten-Organisationen aus 33 Ländern zusammengeschlossen. Partner des Verbundes sind laut dessen Webseite unter anderen das Medizintechnik-Unternehmen Medtronic die Pharmaunternehmen Bayer, Pfizer, Bristol-Meyers Squibb, Servier und Boehringer Ingelheim.

Wenn ältere Menschen flächendeckend auf Vorhofflimmern untersucht würden, könnten damit weltweit hunderttausende Schlaganfälle verhindert werden, argumentieren die Mitglieder des internationalen Gremiums. Vorhofflimmern sei Ursache für ein Drittel aller Schlaganfälle. Dabei verlaufe Vorhofflimmern relativ häufig ohne Symptome. Bei etwa zehn Prozent aller Schlaganfälle sei  es vorher nicht bekannt gewesen. Außerdem: „Durch Vorhofflimmern verursachte Schlaganfälle sind ausgedehnter und schwerer und fordern mehr Todesopfer als andere Schlaganfälle. Ein Screening kann gefährdete Personen davor schützen, überhaupt einen solchen zu erleiden“, erläuterte AF-SCREEN-Mitglied Professorin Renate Schnabel vom Universitären Herzzentrum Hamburg und vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung.

Die „U.S. Preventive Services Task Force“  sprach sich dagegen Ende des vergangenen Jahres gegen ein Screening auf Vorhofflimmern bei Menschen ab 65 Jahren aus: Die gegenwärtige wissenschaftliche Datenlage reiche nicht aus, um das Nutzen-Schaden-Verhältnis beurteilen zu können. Die Beurteilung der „US Preventive Services Task Force“ enthalte allerdings einige Fehler und Ungenauigkeiten, kommentierten die AF-Screen-WissenschaftlerAllerdings weisen auch sie auf die Gefahr von falsch positiven Befunden bei Screening mit Smartphone-EKGs und tragbaren Pulsmessern für den Verbraucher-Markt hin.

„Digitale Wächter"

Eine weitere Kernfrage, weit über die Kardiologie und Medizin hinausgehend, ist sicher auch die, wieviel „digitale Wächter“ in Gestalt von Schrittzählern, Fitnesstrackern und anderen smarten Lifestyle-Produkten wünschenswert und sinnvoll sind. Betreutes Wohnen im hohen Alter mag unausweichlich und auch sinnvoll sein. Betreutes Leben von Geburt an durch Digital-Health-Giganten und andere Unternehmen ist weder unausweichlich noch sinnvoll und wünschenswert. Aber das kann man natürlich auch anders sehen.