Auch Ophthalmologen sind häufig Aggressionen oder Gewalt ausgesetzt

  • Andrea Hertlein
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Rund 80 Prozent der Augenärztinnen und Augenärzte haben bereits Aggressionen oder Gewalt im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit erfahren. Das geht aus einer Umfrage des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands (BVA) und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) hervor. Danach sind vor allem ambulante Einrichtungen verbalen oder auch körperlichen Übergriffen ausgesetzt.

Ärzte und medizinisches Personal sind immer häufiger Aggressionen und Gewalt von Seiten der Patienten oder ihrer Angehörigen ausgesetzt. Das geht nicht nur zu Lasten der Zufriedenheit am Arbeitsplatz, sondern kann auch langfristig zu einer psychischen Belastung bis hin zum Burnout führen. Bislang gibt es jedoch nur sehr wenige Untersuchungen zu Aggressionen/Gewalt in der Augenheilkunde.

Online-Befragung von mehr als 1500 Augenärztinnen und Augenärzten

Forschende der Universitätsklinik für Augenheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover haben daher 2018 unter 9411 Mitgliedern von DOG und BVA eine Online-Befragung zu Aggressionen und Gewalt in der Augenheilkunde durchgeführt. Grundlage für den Fragebogen waren die Aggressions-Wahrnehmungsskala (POPAS-Fragebogen) sowie die Umfrage zu Aggressionen und Gewalt unter Allgemeinmedizinern. Die ersten Ergebnisse wurden 2020 veröffentlicht.

Laut der Umfrageergebnisse hatten 83,3 Prozent der 1508 Augenärztinnen und Augenärzte, die sich an der Umfrage beteiligten, bereits Aggressionen/Gewalt im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit erfahren. Insbesondere Augenärztinnen sowie junge Ärztinnen und Ärzte meldeten signifikant häufiger entsprechende Erfahrungen. Von verbalen Übergriffe, berichteten 65,6 Prozent der Umfrageteilnehmer, über körperliche Gewalterfahrungen 24,1 Prozent und sexuelle Übergriffe im Sinne einer Einschüchterung oder Belästigung gaben 21,4 Prozent der Befragten an.

Todesdrohungen, Geiselnahme und Raubüberfall: Von schlimmen Vorfällen berichten vor allem ambulant tätige Ärzte

Im Rahmen der Umfrage konnten die Teilnehmer zudem Angaben zu dem jeweils schwerwiegendsten Vorfall machen, den sie bislang erlebt hatten. Danach berichteten 253 von 1508 (16,8 %) an der Umfrage teilgenommenen Ophthalmologen über ihren schwerwiegendsten Vorfall, der zu 46,8 Prozent als mittelschwer eingestuft wurde. 

Wie aus den Studiendaten hervorgeht, berichteten ambulant tätige Ärzte und Ärztinnen mit 68,8 Prozent am häufigsten von einem schwerwiegenden Vorfall; darunter waren 84 (33,6 %) in Einzelpraxen, 67 in Gemeinschaftspraxen (26,8 %) und 21 in medizinischen Versorgungszentren (8,4 %). Dabei wurde laut den Studienautoren verbale Gewalt wie Beleidigung und Bedrohung in einem Drittel der Fälle als schwerwiegendster Vorfall beurteilt. Körperliche Gewalt widerfuhr vor allem den männlichen Augenärzten. So etwa zertrümmerte ein gesunder Patient eine Glasschale am Tresen, da ihm die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verweigert wurde, die der Patient gefordert hatte, weil seine Brille zerbrochen war. Dagegen nannten Ärztinnen vermehrt sexuelle Einschüchterung und/oder Gewalt sowie aggressives Verhalten als schlimmstes Ereignis.

Insgesamt wurden 10 Vorfälle als sehr schwer eingestuft. Bei 3 dieser Vorfälle handelte es sich um bedrohendes verbales Verhalten, wobei zwei Ärzten mit dem Tod gedroht wurde, weil Unterschiede bei der Einschätzung der Behandlungsnotwendigkeit vorlagen, so die Autoren. Ein weiterer Arzt berichtete, dass ihm ein Patient einen Revolver an die Schläfe hielt, weil seine Schmerzen einer Erosio corneae nicht schnell genug gelindert wurden. Außerdem gab es unter den als sehr schwer eingestuften Vorfällen eine Geiselnahme in der Oberarzt-Kabine und einen Raubüberfall mit einem Toten.

Ursachen für schwerwiegendsten Vorfall

Ursachen waren vor allem interkulturelle Konflikte mit rassistischen Beleidigungen seitens der Patienten oder Angehörigen oder aber dem Vorwurf des rassistischen Verhaltens durch das Personal. Wie die Studienautoren berichten, kam es mehrfach zu Auseinandersetzungen, weil Patienten sich aus kulturellen bzw. religiösen Gründen nicht von Ärztinnen behandeln lassen wollten und auf die Behandlung durch männliche Ärzte bestanden. Es wurde außerdem 32-mal die Wartezeit als Ursache für den Vorfall genannt. Aber auch Probleme bei der Terminvergabe, zu hohe Erwartungshaltung, Behandlungsdifferenzen oder eine Grundaggressivität waren Ursachen für den schlimmsten Vorfall.

Schutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Gewaltprävention dringend notwendig

Die Analyse konnte zeigen, dass viele Augenärzte Gewalt und Aggressionen in ihrer Arbeit erlebten, wobei es jedoch große subjektive Schwankungen in der Einschätzung der Schwere von Vorfällen und damit der persönlichen Belastung gab, räumen die Autoren ein. Gerade ambulante Einrichtungen seien oft ungefiltert Gewalt/Aggressionen ausgesetzt und haben wenig Schutzmaßnahmen. Der zunehmende Fachkräftemangel sowie die COVID-19-Pandemie können laut der Autoren die Situation noch weiter verschlechtern. Schutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Gewaltprävention in Praxen und Kliniken seien daher unerlässlich, so ihr dringender Appell.