Atombombentests: Neuberechnung der Folgen für Französisch-Polynesien

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Kernbotschaften

Die Freigabe militärischer Informationen und die detaillierte Befragung von Betroffenen ermöglichen eine neue Abschätzung des Risikos für differenzierte Schilddrüsenkarzinome (DTC) unter den Einwohnern Französisch-Polynesiens, die vor 50 Jahren dem Fall-Out oberirdischer Atombombentests ausgesetzt waren. Die Forscher messen kein eindeutiges Signal und trauen ihrer eigenen Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht. Dennoch schätzen sie die Zahl zusätzlicher DTCs auf 8 – 97 Fälle, was 2,3 % aller Diagnosen auf den Inseln entsprechen würde.

Hintergrund

In Französisch-Polynesien wurden in den Jahren 1966 – 1974 insgesamt 41 Atombombentests durchgeführt, und die Menge des radioaktiven Fallouts im Nachhinein bestimmt. Weil insbesondere Iod 131 von der Schilddrüse aktiv aufgenommen wird, stellen differenzierte Thyroid-Karzinome (DTC) für die örtliche Bevölkerung das größte Gesundheitsrisiko dar. Ob auch niedrige Strahlendosen mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen, wird aber kontrovers diskutiert. Die Autoren der aktuellen Studie wollten wissen, ob die berechnete Strahlenbelastung tatsächlich mit einer erhöhten Rate an Schilddrüsenkrebs bei den Anwohnern assoziiert ist, denn „ein falsches Verständnis dieser Frage könnte mit einer Überdiagnose von DTCs assoziiert sein“.

Design

Fall-Kontroll-Studie mit verbesserter Methodik zur Ermittlung der Strahlenbelastung als Verlängerung einer bereits im Jahr 2010 begonnenen Untersuchung unter Einschluss neuer DTCs, die zwischen 2004 und 2016 diagnostiziert wurden und Patienten im Alter von maximal 55 Jahren betrafen. Die einstmals geheimen, internen Strahlenschutzberichte des französischen Militärs waren 2013 freigegeben worden und schlossen Messungen von Boden, Luft, Wasser, Milch und anderen Lebensmitteln mit ein.

Ergebnisse

  • Anhand der Originalberichte wurde die Schätzung der durchschnittlichen Strahlendosis der Schilddrüse für die Anwohner von 2 mGy auf 5 mGy mehr als verdoppelt. Neben den Berichten des Militärs waren dazu auch Wetterberichte und Informationen der Betroffenen zum Lebensstil berücksichtigt worden, sowie Gruppeninterviews mit „wichtigen Informanten“ und Frauen, die zur Zeit der Atombombentests Kinder hatten.
  • Von 457 Personen mit einem DCT konnten 395 in die Studie aufgenommen werden (85,1 % Frauen, Durchschnittsalter zum Ende der Nachverfolgung 43,6 Jahre). Ihnen wurden jeweils 1 bis 2 Kontrollen mit dem nächsten Geburtsdatum und gleichem Geschlecht gegenüber gestellt.
  • Die Forscher fanden keine Assoziation zwischen der Strahlendosis auf die Schilddrüse vor dem 16. Lebensjahr und dem Risiko für ein DTC. Das relative zusätzliche Risiko EER pro Milligray wurde mit 0,04 berechnet, dies war jedoch bei einem 95 %-Konfidenzintervall von – 0,09 bis 0,17 statistisch nicht signifikant (P = 0,27).
  • Bei Ausschluss unifokaler nicht-invasiver Mikrokarzinome fand sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung mit einem zusätzlichen Risiko von 0,09 / Milligray (95%-KI – 0,03 – 0,02; P = 0,02). Allerdings „reduzieren mehrere Inkohärenzen mit den Ergebnissen der 1. Studie die Glaubwürdigkeit dieses Ergebnisses“, schreiben die Autoren.
  • Die Anzahl sporadischer DTC in der Gesamtpopulation Französisch-Polynesiens wird mit 1524 angegeben. Die auf die Atombombentests entfallenen Diagnosen machten davon 2,3 % aus, was bei einem 95%-Konfidenzintervall von 0,6 – 7,7 einer Zahl von 8 – 97 Betroffenen entsprechen würde.

Klinische Bedeutung

Die Untersuchung anhand freigegebener militärischer Unterlagen und einer Reihe weiterer Quellen dürfte die bislang genaueste Abschätzung der Risiken in dieser Population darstellen. Ungenauigkeiten und Verzerrungen durch Selbstberichte können allerdings nicht ausgeschlossen werden, und die Übertragbarkeit auf andere Situation scheint begrenzt. Die Kontroverse um die gesundheitlichen Folgen von Atombombentests und atomarer Verseuchung wird weitergehen.

Finanzierung: Alliance National Pour Les Sciences de la Vie et de la Santé, Fondation de France, Fondation ARC Pour la Recherche sur le Cancer, Ligue Nationale Contre le Cancer, Direction Generale de la Sante, Agence Nationale Securite Sanitaire Alimentaire Nationale, und Europäische Kommission.