Arztpraxis und digitale Transformation

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Einen Parforceritt durch die zukünftige Digitallandschaft des deutschen Gesundheitswesens unternimmt gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken am 16. März bei der Pharma-Tagung des „Handelsblatt“. Dabei spricht er über alte Mantras der gematik, die schon längst ihre Berechtigung verloren haben.

 

Die gematik selbst, darauf legt Leyck Dieken gleich zu Beginn seines Vortrages großen Wert, hat ihre Arbeitsweise erheblich modernisiert. Ein Beispiel: „Wir werden die Testung der Produkte in eine weit realere Umgebung stoßen.“ Was früher im Laborsetting ausprobiert wurde, soll zukünftig in einer Modellregion in der Größenordnung eines Bundeslandes erfolgen. Das sei insbesondere der Wunsch der Ärzte und der anderen Leistungserbringer im Gesellschafterkreis der gematik, hebt deren Geschäftsführer hervor.

 

Koordinierende Oberinstanz

Apropos Test: Im vergangenen Jahr konnte man die stockende Erprobung des E-Rezeptes erleben. Das unwürdige Schauspiel wurde jüngst von einem Kommunikationsgau des neuen Gesundheitsministers gekrönt. Wenig verwunderlich ist es da, dass Leyck Dieken eine koordinierende Oberinstanz für nötig hält, die beispielsweise bei der Kette des E-Rezeptes nicht nur für eine Teilstrecke verantwortlich sei, sondern das Mandat erhalte, die gesamte Strecke überblicken und koordinieren zu dürfen.

Im Koalitionsvertrag entdeckt der gematik-Manager viele digitale Ambitionen, eine der folgenreichsten könnte die Opt-Out-Regelung für die elektronische Patientenakte sein. Auch der Sachverständigenrat und der Corona-Expertenrat fordern dies bereits seit Längerem. Der Gesundheitsstandort Deutschland benötige unbedingt eine bessere Verfügbarkeit von Daten, betont Leyck Dieken. „Wer das unter Corona nicht taghell erkannt hat, hat die letzten 18 bis 24 Monate verschlafen.“

 

MIO müssen besser werden

Wichtig sei, dass die erhobenen Patientendaten zunächst für den nächsten Behandelnden verfügbar gemacht werden. Dafür müsse die ePA allerdings noch deutlich umgebaut werden. Ein von Leyck Dieken genanntes To-do muss sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung ins Pflichtenheft schreiben: die Modernisierung der MIO (Medizinische Informationsobjekte). „Die MIO müssen wir in der Qualität deutlich anheben“, betont Leyck Dieken. Das sei auch vielen Bundestagsabgeordneten klar vor Augen.

Außerdem werde eine Plattform programmiert, die nicht mehr Ende-zu-Ende verschlüsselt ist. Das sei zwar lange das heilige Mantra der gematik gewesen, räumt Leyck Dieken ein, tatsächlich aber schon lange nicht mehr die einzig sichere Option. Außerdem würde diese Verschlüsselungsform bedeuten, dass man niemals weiß, wo sich welche Daten befinden. Eine weitere Klarstellung von ihm: „Es wird niemals Datenspende geben.“ Es werde immer nur um eine Datenfreigabe gehen.

Er erinnert außerdem daran, dass ab diesem Jahr die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Lage seien, ihre Daten in der elektronischen Patientenakte abzulegen. Voraussetzung dafür sind gemeinsame Standards. In dieser Hinsicht besteht bei den digitalen Gesundheitsanwendungen aber offenbar noch Nachholbedarf, denn: Von den ersten 15 haben neun keine internationalen Standards in der proprietären Programmierung angewendet, berichtet Leyck Dieken.

 

30.000 E-Rezepte im Spätsommer

Stichwort E-Rezept: Bei der Testphase sieht Leyck Dieken mittlerweile Land in Sicht, das Bundesgesundheitsministerium (BMG) habe jetzt klare Mitarbeitsverantwortlichkeiten und Ziele herausgegeben. Der gematik-Chef rechnet damit, im Spätsommer die magische Zahl von 30.000 E-Rezepten zu erreichen. Wie dann der Rollout konkret erfolgen soll, dazu hält er sich noch bedeckt und verweist auf die Ärzteschaft. Für einen bundesweiten Rollout sei es essenziell, dass nicht nur Kassen und Apotheken bereitstehen, sondern dass auch alle Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ihre eigenen Erfahrungen gesammelt haben. Bislang arbeiten mit der gematik offenbar erst folgende Körperschaften aktiv zusammen: KV Baden-Württemberg, KV Bayerns, KV Brandenburg, KV Niedersachen, KV Nordrhein, KV Schleswig-Holstein sowie die KV Westfalen-Lippe.

Für wichtige Multiplikatoren, um Ärzten Berührungsängste zu nehmen, hält Leyck Dieken die medizinischen Fachgesellschaften. Diese hätten eine andere Wirkung auf Ärzte als KVen, ist er überzeugt. Diese Erkenntnis sei jetzt auch im BMG angekommen, ein „endlich“ schwingt da unüberhörbar mit. Die gematik selbst hat bereits 43 Fachgesellschaften empfangen, darunter Diabetologen, Unfallchirurgen sowie Onkologen.

 

„Extrem fortgeschrittene Gespräche“

Eine weitere Herausforderung, die es zu stemmen gilt, ist der Übergang zur Telematikinfrastruktur (TI) 2.0: „Wir müssen aus dieser alten Telematik heraus“, bekräftigt Leyck Dieken. Deren Standards seien bereits 16 Jahre alt, verwendet werde eine Sprache und eine IT, die es in anderen europäischen Ländern überhaupt nicht mehr gebe. Der europäische Datenraum werde mit der alten TI kaum betretbar sein und das Nutzererlebnis miserabel bleiben, warnt der gematik-Chef. Der wichtigste Schritt in Richtung TI 2.0 ist die Verteilung von elektronischen IDs – sowohl für Versicherte als auch für alle anderen Beteiligten. Mit den Kassen sei man bereits in „extrem fortgeschrittenen Gesprächen“, verrät Leyck Dieken. Er geht daher davon aus, dass schon Anfang kommenden Jahres viele große Kassen die elektronische ID ihren Versicherten anbieten können.

Vielleicht gewinnt die träge digitale Transformation dann doch endlich an Tempo.