Arzneimittelengpässe: Onkologen kritisieren Gesetzentwurf
- Dr. med.Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Arzneimittelengpässe bereiten zunehmend Sorgen. Konkrete Abhilfe soll das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) bringen. In dem am 5. April 2023 von Karl Lauterbach vorgestellten Kabinettsentwurf fehlten jedoch die Regelungen für die Krebs-Therapien, kritisiert nun die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO).
Eine Belastung für das Patienten-Arzt-Verhältnis
Die Zahl der Liefer- und Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln ist besonders im letzten Jahr deutlich gestiegen, auch bei Krebs-Medikamenten. Die Probleme bei Tamoxifen für die Behandlung von Brustkrebs, bei nabPaclitaxel beim Bauchspeicheldrüsenkrebs und von Calciumfolinat für die unterstützende Krebstherapie waren besonders belastend und wurden auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Betroffen waren vor allem Arzneimittel, die schon seit vielen Jahren eingesetzt werden und heute als Generika auf dem Markt verfügbar sind. Sie machen die Hälfte der aktuell in Deutschland zugelassenen Krebs-Medikamente aus. Für die verordnenden Ärzte ist jeder Engpass zeitaufwändig, erfordert besondere Anstrengungen zur Beschaffung der Arzneimittel und bedeutet eine Belastung für das Patienten-Arzt-Verhältnis.
DGHO: Engpass bei Tamoxifen war vermeidbar
Darauf hatte die Gesundheitspolitik zunächst reagiert und im Dezember 2022 ein Maßnahmenpaket angekündigt, Anfang März 2023 dann im ALBVVG konkrete Schritte in einem Gesetzentwurf veröffentlicht. Er enthielt seit mehreren Jahren geforderte Maßnahmen wie verpflichtende Lagerhaltung unverzichtbarer Arzneimittel, Diversifizierung der Anbieter bei Rabattverträgen, Förderung von kurzen Lieferketten und ein Frühwarnsystem. Wären diese Regelungen früher eingeführt worden, hätte zum Beispiel der Engpass bei Tamoxifen im letzten Jahr wohl vermieden werden können, argumentiert die DGHO.
DGHO: Vorgehen von Lauterbach führe zu Vertrauensverlust
Diese Maßnahmen sollten zunächst für die Versorgung mit Kinderarzneimitteln, mit Antibiotika und mit für die Krebstherapie erforderlichen Medikamenten gelten. Die medizinischen Fachgesellschaften hatten darauf hingewiesen, dass es keine „Priorität“ für Krebs-Patienten gegenüber Patienten mit anderen lebensgefährlichen und belastenden Erkrankungen geben darf. Sie hatten jedoch die Onkologie sowie bestimmte Bereiche der Pädiatrie und der Infektiologie als „Pilotprojekt“ zur Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen mit einer kurzen Evaluierungsfrist akzeptiert.
In dem am 5. April 2023 von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgeschlagenen Entwurf für das ALBVVG fehlen die Regelungen für die Onkologie. In der Pressekonferenz fiel die Formulierung „[…] überlegen uns, das auf Onkologika auszudehnen […]“. Das, so die DGHO, helfe den Betroffenen jedoch nicht. Das Vorgehen des Bundesgesundheitsministers ist nach Ansicht der Fachgesellschaft unverständlich. Es führe zu einem unnötigen Vertrauensverlust.
Der konkrete Entwurf
Der Kabinetts-Entwurf zum „Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“ stärke das Rückgrat der Gesundheitsversorgung, hieß es am 5. April in einer Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums. Hier das Lieferengpassbekämpfungsgesetz (der Entwurf) im Einzelnen:
Für Kinderarzneimittel werden die Preisregeln gelockert: Festbeträge und Rabattverträge werden abgeschafft. Die pharmazeutischen Unternehmer können ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrages bzw. Preismoratoriums-Preises anheben. Krankenkassen übernehmen die entsprechenden Mehrkosten von ärztlich verordneten Arzneimitteln. Zukünftig dürften keine Festbetragsgruppen mehr mit Kinderarzneimitteln gebildet werden.
Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum müssen bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden. Die Anbietervielfalt wird erhöht.
Der Preisdruck durch Zuzahlungsbefreiungsregeln wird gesenkt: Statt heute 30 Prozent liegt die Zuzahlungsbefreiungsgrenze künftig bei 20 Prozent. Das bedeutet: Liegt der Preis mindestens 20 Prozent unter Festbetrag, kann der GKV-Spitzenverband Arzneimittel von der Zuzahlung freistellen. Der Preisdruck bei Festbeträgen wird dadurch gedämpft.
Vereinfachung der Austauschregeln für Apotheken: Ist ein Arzneimittel nicht verfügbar, dürfen Apothekerinnen und Apotheker ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben. Für den Austausch sollen Apotheken und Großhändler einen Zuschlag erhalten. Können die verordneten Arzneimittel nur noch in Kleinpackungen abgegeben oder muss aus einer Packung eine Teilmenge entnommen werden, wird die Zuzahlung für die Versicherten auf die verordnete Menge begrenzt.
Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel können im Fall einer Marktverengung gelockert werden. Gibt es zu wenig Anbieter, können Festbetrag oder Preismoratorium einmalig um 50 Prozent angehoben werden.
Verbindliche, dreimonatige Lagerhaltung von rabattierten Arzneimitteln wird für Rabattverträge vorgeschrieben. Dies beugt kurzfristigen Lieferengpässen bzw. gesteigerten Mehrbedarfen vor und stellt eine bedarfsgerechte Versorgung sicher.
Vorhandene Strukturen zur Bewältigung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln werden gestärkt: Das BfArM erhält zusätzliche Informationsrechte u.a. gegenüber Herstellern und Krankenhausapotheken. Zudem wird ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden Lieferengpässen eingerichtet.
Verbesserung der Versorgung durch Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken: Die Bevorratungsverpflichtungen für parenteral anzuwendende Arzneimittel und für Antibiotika zur intensivmedizinischen Versorgung werden erhöht.
Verfügbarkeit neuer Reserveantibiotika: Die Regeln zur Preisbildung werden so angepasst, dass der finanzielle Anreiz für die Forschung und Entwicklung von neuen Reserveantibiotika für pharmazeutische Unternehmen verstärkt wird.
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