Antipsychotika bei Demenz-Kranken: Wann und wie absetzen?

  • Dr.med.Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Antipsychotika, mit denen Demenz-Kranke oft behandelt werden, sollten und können langsam abgesetzt werden. Ein Team um Dr. Carola Roßmeier (Technische Universität München, kbo-Inn-Salzach-Klinikum, Wasserburg am Inn) hat erklärt, wann bei Demenz-Kranken eine antipsychotische Therapie beendet werden sollte und wie die Medikation ausgeschlichen werden kann. 

Bei den meisten Demenz-Kranken treten psychische Symptome und Verhaltenssymptome („Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia“ [BPSD]) auf, etwa Aggressivität, Erregung, Unruhe, Ängste oder auch Apathie, wahnhafte Symptome und Halluzinationen. Behandelt werden die Patienten nach Angaben der Autorinnen häufig mit Antipsychotika, „obwohl viele Antipsychotika als potenziell inadäquate Medikamente für ältere Menschen auf der PRISCUS-Liste stehen", da sie insbesondere bei älteren Menschen mit Demenz mit einem erhöhten Risiko für kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse, einer erhöhten Sterblichkeit sowie mit Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Schwindel verbunden sind. Aus diesem Grund rieten Autoren von Leitlinien zur Behandlung Demenz-Kranker, Antipsychotika nur bei speziellen Indikationen einzusetzen und Antipsychotika möglichst kurz und gering dosiert zu verwenden. Außerdem sei der Einsatz von z. B. atypischen Antipsychotika zur Behandlung von BPSD bei Demenz auf Risperidon begrenzt, und dies gemäß Fachinformation auf eine Dauer von sechs Wochen. 

In der Fachliteratur gibt es, wie die Autorinnen weiter berichten, trotz limitierter Datenlage Hinweise, dass ein Ausschleichen von Antipsychotika bei Demenz prinzipiell ohne Nachteil möglich ist. Ausnahmen im Sinne erhöhter Rezidivraten scheinen Patienten zu sein, die besonders gut auf Antipsychotika ansprechen, oder Betroffene mit deutlich ausgeprägten BPSD. 

Empfehlungen zum Ausschleichen

Um zu vermeiden, dass Antipsychotika bei Menschen mit Demenz zu lange bzw. ohne entsprechende Indikation verordnet werden, hat Carola Roßmeier mit Kolleginnen der TU München Handlungsempfehlungen zur Reduktion bzw. zum Ausschleichen von Antipsychotika entwickelt. 

Die Entwicklung der Empfehlungen erfolgte ihren Angaben zufolge in einem mehrstufigen Prozess: Literaturrecherche, Diskussion in einem Expertengremium und Onlineumfrage mit in Deutschland tätigen ärztlichen Demenz-Experten. Bei den Empfehlungen handelt es sich, wie die Autorinnen betonen, „um keine Leitlinien, sie ersetzen nicht die Eigenverantwortlichkeit der Behandelnden und das individuell notwendige Vorgehen in Abhängigkeit von der Behandlungssituation“. 

Hier die wichtigsten Empfehlungen und Vorschläge: 

1. Die Indikation zum  Absetzen liegt vor, wenn die Zielsymptome (also die BPSD) über einen angemessenen Zeitraum, etwa. drei Monate, anhaltend gebessert sind.

2. Deprescribing ist außerdem indiziert, wenn der therapeutische Effekt trotz adäquater Dosierung ausbleibt.

3. Deprescribing ist zudem dann indiziert, wenn die Nebenwirkungen der Therapie im Verhältnis zur Wirkung zu stark ausgeprägt sind.

4. Ob die Indikation für ein Deprescribing vorliegt, sollte mindestens einmal pro Monat von ärztlicher und pflegerischer Seite überprüft werden. 

5. Die Patienten bzw. gesetzlichen Vertreter sollten in den Entscheidungsprozess zum Absetzen der Medikation einbezogen werden; sie müssten über Indikation, mögliche Wirkungen, Risiken (insbesondere des Wiederauftretens der BPSD) und Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Auch das Pflegepersonal und die Angehörigen sollte darüber informiert werden.

6. Das Deprescribing sollte nicht abrupt, sondern schrittweise erfolgen, um das Wiederauftreten von BPSD und/oder das Auftreten von Absetzsymptomen zu vermeiden.

Die Autorinnen empfehlen folgendes Reduktionsschema: 

  • Schritt 1: 75% der Ausgangsdosis
  • Schritt 2: 50% der Ausgangsdosis
  • Schritt 3: 25% der Ausgangsdosis
  • ggf. Schritt 4: 12,5% der Ausgangsdosis

7. Je stärker ausgeprägt die BPSD vor Behandlung mit Antipsychotika waren, umso vorsichtiger sollte ausgeschlichen werden. Bei Behandlung mit zwei oder mehreren Antipsychotika sollten diese nacheinander ausgeschlichen werden. 

8. Indiziert sind regelmäßige Visiten während der Reduktion, idealerweise alle zwei Wochen.

9. Bei (Wieder)auftreten von BPSD während der Reduktion sollten Ursachen, insbesondere Schmerzen, abgeklärt und wenn möglich behandelt werden. 

10. Eine vorübergehende Bedarfsmedikation (idealerweise das Antipsychotikum in der Dosierung des letzten Reduktionsschrittes) kann das Deprescribing erleichtern. 

11. Im Fall einer notwendigen Dosissteigerung aufgrund erneut auftretender BPSD sollte zunächst die Dosierung des vorausgegangenen Reduktionsschrittes verwendet werden. 

12. Das Ausschleichen kann, wenn Symptome oder Situation es erfordern, vorübergehend oder längerfristig gestoppt werden. Die Reduktionsgeschwindigkeit liegt im Ermessen der Therapeuten.