Antikörper für Migräne-Patienten: noch sind einige wichtige Fragen ungeklärt
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
In der medikamentösen Behandlung von Migräne-Patienten hat sich mit der Entwicklung monoklonaler Antikörper gegen das CGRP (calcitonin-gene-related peptide) und den CGRP-Rezeptor einiges getan. Die neuen Wirkstoffe gelten als wichtige Errungenschaft. Dennoch ist auch hier noch einiges unklar, wie der Essener Migräne-Experte Professor Hans-Christoph Diener in einem kommentierenden Beitrag im Fachmagazin „The Lancet Neurology“ erklärt.
CGRP-Antikörper: Wirksamkeit in placebo-kontrollierten Studien belegt
Die Entdeckung, dass das CGRP eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne spielt, war laut Diener der wichtigste Fortschritt in der Migräne-Forschung der letzten 35 Jahre. Die Entdeckung habe zur Entwicklung von oral verabreichten Medikamenten gegen Migräne-Attacken und zur Migräne-Prophylaxe geführt; die zur Prophylaxe entwickelten Antikörper gegen das CGRP haben sich, wie der Neurologe weiter berichtet, in großen placebo-kontrollierten und zulassungsrelevanten Studien als wirksam erwiesen. Besonders hervorzuheben sei die bei Migräne-Patienten so wichtige gute Verträglichkeit dieser neuen, subkutan oder intravenös verabreichten Medikamente.
Der Vergleich mit Placebo genügt nicht
Viele klinische Fragen könnten jedoch nicht durch die placebo-kontrollierten Studien beantwortet werden, die zur Zulassung in den USA und in Europa durch die FDA und die EMA geführt hätten. Dazu gehört laut Diener die Frage, wie sicher und wirksam diese Arzneimittel bei Kindern sind, bei Jugendlichen und sehr alten Patienten sowie bei Personen mit niedrigem oder hohem Körpergewicht oder bei Personen mit nicht-weißem ethnischen Hintergrund.
Autoren eines aktuellen Beitrages zu den Antikörpern schlagen vor, dass eine genauere Kenntnis der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik helfen könnte, vorherzusagen, ob ein Migräne-Patient auf ein bestimmtes Medikament ansprechen werde. Nach Ansicht des Essener Neurologen sind jedoch solche Kenntnisse für die Therapie bei Migräne-Anfällen, bei der Medikamente durch Ausprobieren getestet werden könnten, weniger relevant. Eine wichtigere Rolle als bei der Akut-Behandlung könnte die Vorhersage des Ansprechens bei der Migräne-Prophylaxe spielen. Bislang sei es jedoch in Studien mit Parametern zur Vorhersage des Ansprechens nicht gelungen, sogenannte Responder zu identifizieren. Könnte ein fehlendes Ansprechen vorhergesagt werden, wäre dies auch für die Krankenkassen ein Gewinn: Sie könnten in solchen Fällen die Erstattung der Kosten für prophylaktische Medikamente verweigern. Diese Kosten sind nicht gering: So betragen die Jahresbehandlungskosten (ohne Rabatte) zum Beispiel für Erenumab rund 6000 Euro, für Topiramat dagegen weniger als 300.
Head-to-Head-Studien Mangelware
Angesichts der hohen Kosten der neuen Medikamente ist es, wie Diener weiter erklärt, wichtig zu wissen, ob diese Medikamente ebenso wirksam oder wirksamer sind als die bisher zugelassenen Therapien. Für die meisten Wirkstoffe (im Vergleich zu Triptanen) oder monoklonalen Antikörper (im Vergleich zu älteren Mitteln zur Prophylaxe) gebe es jedoch keine entsprechenden vergleichenden Studien. Die einzige Ausnahme sei der Vergleich von Erenumab mit Topiramat. Diese vom Unternehmen Novartis finanzierte Head-to-Head-Studie hat gezeigt, dass Erenumab bei Effektivität und Verträglichkeit besser ist als Topiramat („Cephalalgia“). So erreichten signifikant mehr Patienten mit Erenumab eine mindestens 50-prozentige Reduktion ihrer monatlichen Migräne-Tage (55,4% versus 31,2 %; OR 2,76; p<0,001). Das Sicherheitsprofil zeigte keine Auffälligkeiten. „Die hier gezeigte Überlegenheit von Erenumab gegenüber Topiramat ist erfreulich. Dies ist die erste Studie, die einen monoklonalen Antikörper gegen ein traditionelles Migräne-Prophylaktikum untersucht hat, kommentierte Diener die Studien-Ergebnisse.
Wie der Neurologe in seinem aktuellen Kommentar weiter kritisiert, gab es ausserdem in keiner der großen Zulassungsstudien zusätzlich zu einer Placebo-Gruppe eine aktive Vergleichs-Gruppe. Post-hoc-Analysen seien jedoch mit Verzerrungen behaftet; indirekte Vergleiche wiederum seien schwierig, da die Studien mit Triptanen oder älteren Wirkstoffen schon rund 20 Jahre alt seien.
Ein wichtiges Argument für den Einsatz von Gepanten ist laut Diener ihr gutes Verträglichkeitsprofil. Gepanten würden von Pharmaunternehmen für Patienten mit Kontraindikation für Triptane beworben. Allerdings seien Patienten, bei denen ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse unter Triptanen vermutet werde, nicht in spezielle randomisierte Studien zu den Antikörpern oder Gepanten einbezogen gewesen. Alle bisherigen Daten zeigten, dass Triptane äußerst sicher seien und das Risiko von Herzinfarkten, Schlaganfällen oder vaskulären Todesfällen nicht erhöhten.
Doch wie steht es um die Sicherheit der Antikörper? Die Behauptung, sie hätten nur wenige Nebenwirkungen und seien gut verträglich, sei zwar richtig, erklärt der Neurologe weiter. Aber belastbare Aussagen über die Sicherheit könnten erst gemacht werden, wenn mehr als 10 000 Patienten und Personen mit erhöhtem Risiko für schwerwiegende unerwünschte Ereignisse behandelt worden seien.
CGRP ist ein sehr potenter Vasodilatator, der bei Ischämie und Gefäßverengung freigesetzt wird. Tiermodelle hätten gezeigt, dass CGRP-Rezeptorblocker die Erweiterung der Kollateralgefäße bei einem ischämischen Schlaganfall hemmten, was zu einer Zunahme des Infarktvolumens führe. Ob diese Wirkung auch bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall auftrete, sei noch nicht bekannt, so Diener. Seiner Meinung nach sollten die neuen Medikamente jedoch nicht bei Menschen mit hohem Risiko für ischämische Ereignisse eingesetzt werden.
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