Antidepressiva-Therapie: Wie schonend beenden?

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Kernbotschaften

Wer Antidepressiva abrupt absetzt, riskiert Absetzsymptome. Ein ärztlich begleitetes Beenden der Therapie ist daher sinnvoll. Wie das gelingt, haben Dr. med. Marlene Krabs, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie Schlosspark-Klinik in
Berlin, und Prof. Dr. med. Tom Bschor, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Dresden, in einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag erklärt.

Oft jahrelange Einnahme

Immer mehr Menschen nehmen viele Jahre lang Antidepressiva ein. So ist zum Beispiel einer niederländischen Studie zufolge der Prozentsatz der Personen mit jahrelanger Antidepressiva-Therapie innerhalb von 15 Jahren von 30 auf 43 Prozent gestiegen. Eine Studie in Großbritannien zeigt, dass dort rund drei Viertel der mit Antidepressiva behandelten Patienten diese Medikamente mindestens ein Jahr lang nahmen, 36 Prozent sogar fünf und mehr Jahre.

Das Problem: Entzugssymptome

Eine Antidepressiva-Therapie zu beenden, ist bekanntlich allerdings nicht leicht: Mit ein Grund für die manchmal jahrelange Einnahme der Präparate sind Entzugssymptome. Dazu zählen bei den oft eingesetzten SSRI laut dem US-Psychiater Professor Ross J. Baldessarini (Harvard Medical School Boston) etwa Übelkeit, Lethargie, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Tremor, abnorme Empfindungen wie das Gefühl, einen elektrischen Schlag zu bekommen, manchmal auch aggressives Verhalten. Werden Antidepressiva abgesetzt, können auch Symptome wie Depressivität oder Angst auftreten, so dass der Eindruck entsteht, der Patient habe ein Rezidiv. Manche Patienten entwickeln auch grippeähnliche Symptome, Gangunsicherheit und Gleichgewichtsstörungen
, Tinnitus
, optische oder akustische Halluzinationen
 und Verwirrung sowie Gedächtnisstörungen
.

Unterschiedliche Strategien

Wie aber sollte nun eine Antidepressiva-Therapie beendet werden? Die Beendigung einer Antidepressiva-Medikation könne auf unterschiedliche Weise erfolgen, erklären Marlene Krabs und Tom Bschor.  So hätten Autoren eines Cochrane-Reviews Studien zu den vier Strategien abruptes Absetzen, Ausschleichen, Beendigung mit psychotherapeutischer Unterstützung und Minimalunterstützung durch Hausärzte ausgewertet. Die wissenschaftliche Evidenz sei von den Autoren allerdings als unzureichend eingeschätzt worden, um praktische Empfehlungen ableiten zu können.

Laut der Cochrane-Analyse verringere ein langsames Ausschleichen von Antidepressiva höchstwahrscheinlich die Risiken, wenngleich es sie nicht vollständig vermeiden könne. Ein abruptes Absetzen sollte daher Situationen vorbehalten bleiben, in denen dies aufgrund schwer- wiegender oder gefährlicher Nebenwirkungen unumgänglich ist. Manche Autoren empfehlen nach weiteren Angaben von Krabs und Bschor ein sehr langsames Ausschleichen über bis zu  sieben Monate. Dies komme in Betracht, wenn nach einer erfolgreichen Akut- und Erhaltungstherapie die antidepressive Pharmakotherapie vollständig beendet werden solle.
Für andere häufige klinische Situationen hingegen sei ein derartig langer Zeitraum nicht praktikabel, insbesondere wenn das Antidepressivum aufgrund belastender Nebenwirkungen abgesetzt werden solle. Auch während einer stationären Behandlung sei nicht die Zeit für ein monatelanges Ausschleichen gegeben. In diesen Fällen empfehle die AG Psychiatrie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ein rascheres Ausschleichen. 

Antidepressiva-Dosis nicht linear reduzieren!

Zur Vermeidung von Absetzsymptomen und wenn die klinische Situation es erlaube, könne das Ausschleichen über etwa 4 bis 6 Wochen erfolgen, mit Dosisreduktions-Schritten etwa alle 10 Tage unter engmaschiger Beobachtung des Patienten hinsichtlich etwaiger Absetz- oder Rezidiv-/Rebound-Symptome. Träten derartige Symptome auf, sei zur letzten höheren Dosis zurückzukehren und das Ausschleichen anschließend langsamer fortzusetzen. 

Wichtig sei, dass die Dosis nicht linear reduziert werde, betonen die Psychiater. Die Begründung: Vor allem von SSRI und SNRI sei bekannt, dass sie den Serotonintransporter – ihren Hauptwirkungsort – über einen breiten Dosisbereich annähernd gleichmäßig zu etwa 80 % blockierten. Die Beziehung zwischen Dosis und Besetzung des Serotonintransporters verlaufe hierbei in der Form einer Hyperbel. Was das bedeutet, haben vor wenigen Jahren in einem Beitrag im Fachblatt „Lancet Psychiatry“ der britische Pharmakologe Professor David Taylor (London) und Dr. Mark Abie Horowitz (Sidney) erläutert.

Ihren Angaben zufolge nimmt bei linearer Reduktion der Dosis der hemmende Effekt der SSRI nicht einfach nur linear ab, sondern immer mehr. So bewirke eine schrittweise lineare Reduktion einer Citalopram-Ausgangsdosis von 20 Milligramm um jeweils 5 mg beim ersten Schritt von 20 auf 15 mg eine Abnahme der Hemmung um 3 Prozent, beim nächsten Schritt von 15 auf 10 mg eine Abnahme um 6 Prozent, dann jedoch - bei Reduktion von 10 auf 5 mg - eine Abnahme um 13 Prozent und beim letzten Schritt (5 - 0 mg) eine Abnahme um 58 Prozent. Sogar eine schrittweise lineare Reduktion um 2,5 mg oder 1,25 mg führe noch zu einer überproportional stärkeren Abnahme der Hemmung (42,9 und 28 Prozent), berichten die Wissenschaftler. 

Erst großzügig, dann kleinschrittig

Die Serotonintransporterbesetzung sinke bei einer Reduktion der Tagesdosis von 60 mg auf 9,1 mg nur von 88 % auf 70 %, erläutern das Problem auch Tom Bschor und Marlene Krabs. 
Erst bei sehr niedrigen Tagesdosierungen sinke sie relevant, und zwar auf 50 % bei 3,4 mg und auf 30 % bei 1,5 mg. Anders betrachtet heiße dies, „dass eine lineare Dosisreduktion, z. B. in fixen 5 mg-Schritten, beim letzten Schritt (von 5 mg/Tag auf 0 mg) zu einem schlagartigen Rückgang der Serotonintransporterblockade von 60 auf 0 % führen würde“. Dies bedeute, dass mit Absetz- und Rebound-Problemen insbesondere bei den letzten Reduktionsschritten im Niedrigdosisbereich zu rechnen sei, weshalb die ersten Reduktionsschritte großzügiger und die letzten möglichst kleinschrittig erfolgen sollten. 

In der praktischen Umsetzung stoße dieses Vorgehen allerdings auf Schwierigkeiten, da Tabletten nicht unbegrenzt teilbar seien und es nur wenige Antidepressiva in Tropfenform gebe (beispielsweise Citalopram, Escitalopram, Amitriptylin, Trimipramin). Selbst bei diesen sei der niedrigste Dosisschritt zumeist 1 mg, was einem Tropfen entspreche. Apotheker könnten eventuell gebeten werden, verdünnte Lösungen herzustellen.

Im Internet werden, wie Tom Bschor und Marlene Krabs weiter erklären, sogenannte „tapering strips“ angeboten, die Dosierungen in absteigender Stärke enthielten. Qualitätskontrolle und Zulassung seien diesbezüglich aber oft ungeregelt. Bei Absetzproblemen von SSRI könne eventuell zunächst eine Umstellung auf Fluoxetin vorgenommen werden, das aufgrund seiner langen Halbwertszeit kaum Absetzschwierigkeiten verursache.