AMNOG stirbt einen leisen Tod

  • Presseagentur Gesundheit (pag)
  • Im Diskurs
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Der Gesundheitsminister spricht bei seinem Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FinStG) davon, dass er „Effizienzreserven hebt". Was Prof. Karl Lauterbach nicht sagt: Dass er nachhaltig das Regelwerk für Arzneimittelinnovationen verändert. Das fein ausgetüftelte AMNOG wird nicht systemkonform weiterentwickelt, sondern in Holzfällermanier zurechtgestutzt. Wenn das so kommt, wird der Masterplan AMNOG aufgegeben und gesetzliche Interventionen werden beliebig. Das kann eigentlich niemand wollen.

 

Im Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Bundesregierung steht es schwarz auf weiß: „Das AMNOG entwickeln wir weiter.“ Das Tempo medizinischer und erst recht pharmazeutischer Innovationen macht eine dynamische Anpassung der Regulatorien auch zwingend erforderlich. Nicht umsonst sprechen alle seit Anbeginn von einem „lernenden System“. Im Januar 2022 wird das AMNOG zwölf Jahre alt und diese Systeminnovation wird von allen Akteuren hochgelobt. Einige Novellierungen hat das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz schon erlebt. In der Vergangenheit ist es vor allem um „Fine-Tuning“ gegangen, wie der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Prof. Josef Hecken, bei einer Novellierungsrunde 2014 sagt. Dazu zählen: Inhaltliche Auseinandersetzungen zur zweckmäßigen Vergleichstherapien (ZVT), Datenerhebung zu Lebensqualität, Umsatzschwellen oder Dossierpflicht für Orphan Drugs und vieles mehr.

 

Arzneimittel abschöpfen

Zu den „Effizienzreserven“ gehören neben der Erhöhung des Herstellerabschlags von sieben auf zwölf Prozent auch die im Koalitionsvertrag bereits angekündigte Beibehaltung des Preismoratoriums. Beide Abschöpfungsmodule gehören zum festen Repertoire der Gesundheitspolitik – egal welche Regierung, egal welche Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Eine Überforderung konnte die Industrie bisher nicht überzeugend darlegen und so scheinen sich alle an dieses Vorgehen schon gewöhnt oder sich ins Schicksal gefügt zu haben. Die Änderungen im AMNOG stehen dagegen auf einem ganz anderen Papier.

Folgende Änderungen sind vorgesehen: 

  1. Bei geringem oder nicht quantifizierbarem Zusatznutzen im Vergleich zur patentgeschützten ZVT liegt der Erstattungsbetrag auf dem Niveau der ZVT.
  2. Bei nicht belegtem Zusatznutzen im Vergleich zur patentgeschützten ZVT liegt der Erstattungsbetrag zehn Prozent unter dem Niveau der ZVT.
  3. Auf Kombinationstherapien wird ein Abschlag von 20 Prozent erhoben.
  4. Eine Preis-Mengen-Vereinbarung wird verpflichtend.
  5. Verwurf muss bei der Erstattungspreisverhandlung berücksichtigt werden.

 

Ärztliche Fachgesellschaften üben Kritik

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat den Sprengstoff, der für innovative Arzneimittel schlummert, erkannt. Sie warnt sehr vorsichtig: Das Gesetz könne zu „eingeschränkter Verfügbarkeit wirksamer neuer Arzneimittel führen“. Gefordert werden langfristige Konzepte. Der Präsident der AWMF, Prof. Rolf-Detlef Treede, gibt zu bedenken, ein fehlender Nachweis des Zusatznutzens innerhalb eines Jahres bedeute nicht, dass es keinen Nutzen gebe. Bislang wird der Zusatznutzen in vier Kategorien bewertet („gering“, „beträchtlich“, „erheblich“ oder „nicht quantifizierbar“). Künftig soll es nur noch für die beiden obersten Kategorien, „beträchtlich“ und „erheblich“, einen höheren Preis gegenüber der ZVT geben. Treede: „Gemessen an den bisherigen Erfahrungen wären das noch 20 Prozent der neuen Arzneimittel statt bisher 56 Prozent.“

 

Negative Auswirkungen auf Arznei für chronische Erkrankungen

Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, kann sich jeder Mensch kinderleicht ausrechnen. Die Auswirkungen werden sich aber erst mittelfristig zeigen. Diese Leistungskürzung läuft unter Effizienzreserven. Vor allem seien negative Auswirkungen auf innovative Arzneimittel für chronische Erkrankungen zu befürchten. „Hier würde aus methodischen Gründen fast nie ein so positiver Zusatznutzen gesehen wie beispielsweise in der Onkologie“, betont Prof. Bernhard Wörmann, Vorsitzender der Ständigen Kommission Nutzenbewertung von Arzneimitteln der AWMF. Ebenso unter die Räder kommen jene Orphans, die für sehr wenige Erkrankte eingesetzt werden. Wörmann: „Wir empfehlen daher, die besondere Förderung der Arzneimittelentwicklung auf diejenigen Erkrankungen zu beschränken, die in Deutschland selten sind“.

 

Eigenes Gesetz zur AMNOG-Weiterentwicklung?

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller bezeichnet das GKV-FinStG einen Tag vor der ersten Lesung im Bundestag als „undurchdachten Schnellschuss“. Die Änderungen im Arzneimittelbereich würden dazu führen, künftig spürbar weniger Arzneimittelinnovationen zur Verfügung zu haben.

In seiner Stellungnahme zum GKV-FinStG vom 16. September lässt der Bundesrat kein gutes Haar an dem Entwurf, was bei der Interessenlage in der Länderkammer wenig verwunderlich ist. Aufhorchen lässt folgender Vorschlag: Der Bundesrat fordert, dass vor einer Neuregelung des AMNOG-Verfahrens „eine transparente Folgenabschätzung erfolgen muss und etwaige gebotene Anpassungen des § 130b SGB V in ein eigenständiges Gesetzesvorhaben unter Einbeziehung einer Expertengruppe überführt werden“ soll.

 

Lernfähigkeit des AMNOG erhalten

Stoff für eine echte Weiterentwicklung gibt es jedenfalls genug. Das AMNOG muss auch zukünftig lernfähig bleiben, denn Herausforderungen gibt es reichlich. Insbesondere zu Hochpreistherapien und wie deren Bezahlbarkeit sichergestellt werden kann. Wenn es um Herausforderungen für das AMNOG geht, kommt man um das Thema Daten ebenfalls nicht herum. Mit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung hat der Gesetzgeber auf immer frühzeitigere Zulassungen reagiert. Ob und wie sich dieses Instrument bewähren wird, bleibt abzuwarten. Auch bleibt die Frage, wie weitere Daten aus dem Versorgungsalltag sinnvoll einbezogen werden können.

Die AWMF schlägt außerdem vor, zusätzlich zur frühen Nutzenbewertung eine späte Nutzenbewertung von Arzneimitteln zu etablieren. Eine langfristige Verbesserung der Lebensqualität und Funktionalität im Alltag sei komplizierter nachzuweisen als eine kurzfristige Verminderung der Sterblichkeit.

Prof. Wolfgang Greiner hat an anderer Stelle die Nutzung des neu eingeführten Forschungsdatenpools ins Spiel gebracht: „Wünschenswert wäre, dass diese Datensätze zukünftig auch für die Preisbildung und Umsetzung alternativer Erstattungsmodelle nutzbar sein werden.“ Die größte Chance zur Weiterentwicklung des Verfahrens sieht der Gesundheitsökonom jedoch in dem Einbezug von Daten aus Kosten-Nutzen-Bewertungen. Doch ein solches Verfahren wird von der Politik bisher abgelehnt.