Alzheimer-Forschung: Erneuter Todesfall verstärkt Zweifel an Lecanemab
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Vor wenigen Wochen sind die Studien-Daten zu dem Antikörper Lecanemab für Alzheimer-Kranke veröffentlicht worden. Im Fokus hat außer der Wirksamkeit die Sicherheit gestanden. Ein weiterer Todesfall einer Teilnehmerin der relevanten Phase-3-Studie („New England Journal of Medicine“) verstärke nun die Zweifel an der Sicherheit des Anti-Amyloid-Antikörpers, meldet das Wissenschaftsmagazin „Science“.
Laut einem aktuellen Bericht in „Science“ habe das Magazin medizinische Unterlagen erhalten, aus denen hervorgehe, dass eine 79-jährige Studienteilnehmerin aus Florida Mitte September eine starke Hirnschwellung und zerebrale Blutungen sowie Krampfanfälle erlitten habe und dann gestorben sei. Neurowissenschaftler, die die Unterlagen auf Anfrage von „Science“ geprüft hätten, glauben dem Bericht zufolge, dass ihr Tod wahrscheinlich durch den Antikörper Lecanemab verursacht worden sei.„Die Hirnschwellung und die Mikroblutungen ... könnten eine ernste Nebenwirkung des Studienmedikaments sein", zitiert das Wissenschaftsmagazin die Neurologin Dr. Ellis van Etten von der Universität Leiden.
Werden wichtige Sicherheits-Daten verschwiegen?
Der Sponsor der Phase-3-Studie, das japanische Unternehmen Eisai Co., habe den Todesfall auf der großen Alzheimer-Tagung (Clinical Trial on Alzheimer´s Disease) in San Francisco, auf der die Daten zu Lecanemab vorgestellt worden seien, nicht bekannt gegeben, heißt es in dem „Science“-Bericht weiter. Der Todesfall habe sich zwar nach Ablauf der 18-monatigen kontrollierten Prüfphase ereignet, hätte aber nach Ansicht einiger Wissenschaftler auf der Konferenz erwähnt werden müssen. „Das Versäumnis von Eisai und Biogen, diesen Fall offenzulegen, ist besorgniserregend und untergräbt mein Vertrauen, dass die berichteten Sicherheitsdaten vollständig sind", wird der Neurologe und Alzheimer-Spezialist Professor Matthew Schrag von der Vanderbilt University zitiert, der ebenso wie andere Wissenschaftler die Unterlagen der Frau geprüft habe.
Realer Nutzen, reale Risiken
Der jetzt bekannt gewordene Todesfall komme zu anderen Berichten über schwere Hirnblutungen und -schwellungen in der 18-monatigen Hauptstudie und zwei weiteren Todesfällen in der Verlängerungsphase hinzu, die einige Experten mit Lecanemab in Verbindung gebracht hätten, heißt es weiter. „Der Nutzen ist real, die Risiken sind es auch", zitierte vor wenigen Wochen die „New York Times“ den Demenz-Spezialisten Professor Jason Karlawish, Co-Direktor des Penn Memory Center der Universität Pennsylvania, der nicht an der Studie beteiligt war.
Das Unternehmen Eisai, das die früheren Todesfälle und Hirnverletzungen auf Faktoren zurückführte, die nichts mit Lecanemab zu tun haben, lehnte laut „Science“ eine Stellungnahme zum Tod der 79-jährigen Frau ab. „Alle schwerwiegenden Ereignisse, einschließlich der Todesfälle, werden Eisai gemeldet und bei der Auswertung der Studie berücksichtigt", wird eine Sprecherin des Unternehmens zitiert. Diese Informationen würden der FDA und anderen Aufsichtsbehörden sowie den unabhängigen Prüfgremien der Studie zur Verfügung gestellt. Zudem habe die Sprecherin darauf hingewiesen, dass das Alter und der Gesundheitszustand der Studienteilnehmer bei der Bewertung eines Todesfalls berücksichtigt werden sollten. Laut dem „Science“-Bericht hatte die Frau jedoch keine offensichtlichen Gesundheitsprobleme, abgesehen von Anzeichen einer frühen Alzheimer-Krankheit.
Kein valides Urteil ohne Transparenz möglich
Zur Erinnerung: Nach Angaben von Eisai gab es 13 Todesfälle in der klinischen Kernstudie. Sechs Todesfälle hätten sich in der Lecanemab-Gruppe mit 898 Patienten ereignet und sieben Todesfälle unter den 897 Patienten mit Placebo. Den Autoren zufolge wurde kein Todesfall mit Lecanemab in Verbindung gebracht. Das Unternehmen habe laut „Science“ jedoch die Einzelheiten der einzelnen Todesfälle nicht veröffentlicht, so dass die Wissenschaftler in den meisten Fällen nicht wirklich hätten beurteilen können, ob Lecanemab zu den Todesfällen beigetragen habe.
Obwohl Lecanemab auf eine lösliche Version von Beta-Amyloid abzielt, bindet es auch an die extrazellulären Beta-Amyloid-Plaques, die als ein charakteristischer Befund der Alzheimer-Krankheit gelten. Etwa die Hälfte der Alzheimer-Patienten leidet an einer zerebralen Amyloid-Angiopathie (CAA), bei der Beta-Amyloid-Plaques die glatte Muskulatur der Blutgefäßwände ersetzen. Wenn Antikörper wie Lecanemab diese Plaques ablösten, könnten sich die Blutgefäße entzünden und geschwächt werden, was die Anfälligkeit für ARIA erhöhe.
Bei den beiden früheren Todesfällen, die mit Lecanemab in Verbindung gebracht wurden, sollen Antikoagulanzien die Hirnschwellung und die Blutungen der gestorbenen Patienten verstärkt haben. Die Frau aus Florida soll nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus allerdings nur eine Thrombose-Prophylaxe mit Heparin erhalten haben; mehrere Neurologen hätten ausgeschlossen, dass dies zu ihren plötzlichen Problemen und schließlich zu ihrem Tod beigetragen habe, so der „Science“-Bericht.
Hirnschwellung, Blutungen, Multiorganversagen
Unklar sei, ob die Frau während der 18-monatigen Hauptstudie den Antikörper oder ein Placebo erhalten habe; sicher sei, dass sie über sechs Wochen in der Verlängerungsphase, mit dem Antikörper behandelt worden sei. Vor Beginn dieser nicht-kontrollierten Extensionsphase seien bei einem Hirnscan zwar Anzeichen für einige Mikroblutungen festgestellt worden; diese seien jedoch nicht schwerwiegend genug gewesen, um die Frau von der Studie auszuschließen.
Aus den Krankenhaus-Unterlagen gehe außerdem hervor, dass der kontaktierte Prüfarzt der klinischen Studie ARIA vermutet und auf eine Behandlung mit Steroiden gedrängt habe; es sei dennoch zu einem tödlichen Multiorganversagen gekommen.
„Die Patientin hatte eine ausgedehnte Hirnschwellung mit einigen kleinen Blutungen, die zu einem Krampfanfall und schließlich zum Tod führten", so Schrag. Und: „Ich bin sicher, dass dies eine Nebenwirkung von Lecanemab war“, zitiert das US-Magazin den auf die zerebrale Amyloid-Angiopathie spezialisierten Wissenschaftler. Ob er mit seiner Vermutung richtig liegt, ist aber ungewiss. Die Familie der Frau hat nach Angaben des Magazins eine Autopsie veranlasst, die für mehr Klarheit sorgen soll. Die Ergebnisse liegen allerdings noch nicht vor.
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