Alzheimer-Erkrankung: Plädoyer für andere klinische Studien-Ziele

  • Kelli Whitlock Burton
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften 

Eine von der US-Alzheimer-Vereinigung einberufene Expertengruppe hat einen Bericht vorgelegt, in dem sie dafür plädieren, die klinischen Studien zu neuen Wirkstoffen gegen die Alzheimer-Krankheit zu modifizieren. Der Bericht ist das Ergebnis einer einjährigen Arbeit und wurde zum Teil durch die umstrittene Entscheidung der FDA veranlasst, den Antikörper Aducanumab (Aduhelm) im beschleunigten Verfahren zuzulassen, obwohl ein externes Beratungsgremium nicht von der Wirksamkeit des Antikörpers überzeugt war und gegen eine Zulassung votierte. Die Autoren des Berichts fordern ein "Umdenken" bei der Definition des Begriffs "klinisch bedeutsam" in randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) und weisen darauf hin, dass es an der Zeit ist, die Erwartungen an die Ergebnisse von relativ kurzen klinischen Studien anzupassen.

"Ohne die Messlatte niedriger zu legen: Erwarten wir zu viel von einer klinischen Studie, wenn wir von einer fehlgeschlagenen Behandlung ausgehen, sofern die Krankheit nicht zum Stillstand kommt und nicht progressionsfrei ist?", so der Hauptautor des Berichts und Gruppenleiter Ronald C. Petersen, Hauptautor und Vorsitzender der Arbeitsgruppe sowie Professor für Neurologie an der Mayo Clinic in Rochester.

Obwohl der Bericht keine einheitliche Definition des klinisch bedeutsamen Nutzens liefere, biete er einen Ausgangspunkt für eine Diskussion darüber, wie der Begriff im Rahmen von RCTs für krankheitsmodifizierende Therapien ("disease-modifying therapies", DMTs) bei Alzheimer definiert werden sollte, sagte Petersen.

"Wir haben versucht, das Ganze in eine gewisse Perspektive zu rücken und die Leute zumindest zum Nachdenken anzuregen: Wenn Sie die perfekte Medikamentenstudie für die Alzheimer-Krankheit entwerfen würden, wie würde sie aussehen? Wir wollten die Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken, ohne sich auf ein Für oder Wider festzulegen", fügte er hinzu.

Eine proaktive Maßnahme

Die Expertengruppe nahm ihre Arbeit im Januar 2022 auf, weniger als ein Jahr nach der Zulassung von Aducanumab durch die FDA. "Als wir diese Gruppe ins Leben riefen, gab es bereits eine zugelassene Behandlung, und wir wussten, dass weitere auf dem Weg waren, und wir mussten darauf vorbereitet sein, dieses Gespräch zu führen und eher proaktiv als reaktiv zu sein", sagte Dr. Christopher Weber, Direktor für globale wissenschaftliche Initiativen bei der Alzheimer's Association und Mitverfasser des Berichts.

Die Arbeitsgruppe schlägt vor, dass die bloße Verlangsamung des Krankheitsverlaufs ein wünschenswertes Ziel für Arzneimittelversuche sein könnte, insbesondere in einem frühen Stadium, bevor Kognition und Gedächtnis beeinträchtigt seien. Sie weisen zudem darauf hin, dass ein während einer 18-monatigen klinischen Studie festgestellter Nutzen letztlich zu noch bedeutenderen Veränderungen in den kommenden Jahren führen könne.

Darüber hinaus fordern sie die Entwicklung besserer Forschungsinstrumente, um aussagekräftige Veränderungen genauer beurteilen zu können. Die Clinical Dementia Rating (CDR)-Skala ist derzeit das wichtigste Instrument, das zur Messung der primären Endpunkte in RCTs verwendet wird. Die Autoren des Berichts stellen jedoch fest, dass sie möglicherweise nicht ausreicht, um aussagekräftige Veränderungen in frühen Krankheitsstadien zu messen.

"Die Entwicklung besserer Instrumente sollte für uns alle auf dem Radarschirm sein, denn ich denke, wir können es besser machen", sagte Petersen. "Das CDR, so gut es auch ist und so lange es in der Praxis eingesetzt wird, ist ein ziemlich unscharfes Instrument und beruht auf subjektiven Einschätzungen."

Worum es geht, ist die Qualität des Denkens

Jason Karlawish, MD, Professor für Medizin, medizinische Ethik, Gesundheitspolitik und Neurologie an der University of Pennsylvania in Philadelphia, kommentierte den Bericht:  Ihm zufolge werde es eine Herausforderung sein, eine Definition von "klinisch bedeutsam" zu finden, auf die sich alle einigen könnten. "Ich denke, dass die Vorstellung von 'klinisch bedeutsam' tatsächlich eine sozial konstruierte Idee ist", sagte Karlawish, der nicht an dem Bericht mitgearbeitet hat.

"Man kann objektive Maßstäbe für die Kognition aufstellen, aber um etwas als 'klinisch bedeutsam' zu bezeichnen, bedarf es letztlich einer Art ausgehandelter sozialer Ordnung zwischen Klinikern und Patienten und anderen, die ein unmittelbares Interesse an der Gesundheit und dem Wohlergehen des Patienten haben."

"In dieser Diskussion über klinisch bedeutsame Behandlungen bei der Alzheimer-Krankheit geht es offen gesagt nicht um Lebensqualität, sondern um die Qualität des Denkens", sagte Karlawish. "Kein Maß erfasst in akzeptabler Weise das, was allen wirklich am Herzen liegt und warum wir diese Krankheit als so furchtbar empfinden, nämlich die Schädigung unseres Denkvermögens."

Mehr Evidenz erforderlich

Die Entwicklung solcher Instrumente wird Zeit brauchen. Was bedeutet das für Medikamente, die sich bereits in der Entwicklung befinden? Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind der Ansicht, dass diese Versuche gleichzeitig mit der Entwicklung neuer "Hilfsmittel" vorangetrieben werden müssen.

"Wir müssen weiter an der Verfeinerung und der Entwicklung besserer Instrumente arbeiten und Instrumente entwickeln, die die Krankheit in ihren subtileren Merkmalen frühzeitig beurteilen können, sogar im so genannten präsymptomatischen Stadium der Krankheit", so der Hauptautor Petersen. "Wir sollten diese Entwicklung jedoch nicht abwarten, sondern sofort intervenieren, wenn wir ein Medikament haben, das zu wirken scheint."

Allerdings sind nicht alle, die mit der Prämisse des Berichts einverstanden sind, mit dieser Position einverstanden, einschließlich Joel S. Perlmutter, MD, Professor für Neurologie an der Washington University School of Medicine in St. Louis, Missouri, der den Bericht auch kommentierte. Perlmutter war einer von drei Ärzten, die aus dem FDA-Beratungsgremium zurückgetreten sind, das gegen die Zulassung von Aducanumab stimmte.

"Wir müssen aufpassen, dass wir keine DMTs empfehlen, von denen wir hoffen, dass sie helfen, ohne dass es dafür starke Evidenz gibt, besonders wenn die möglichen Nebenwirkungen nicht trivial sind", sagte Perlmutter. "Wir müssen Evidenz haben, bevor wir diese Empfehlungen geben, damit wir den Menschen nicht mehr schaden als helfen."

Der Bericht wurde nicht speziell finanziert. Petersen erhielt Beratungshonorare von Roche, Nestle, Merck, Biogen, Eisai und Genentech. Perlmutter und Karlawish berichten über keine relevanten finanziellen Beziehungen.


 Dieser Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.com und von Dr.Petra Kittner übersetzt worden.