Alzheimer-Erkrankung: Aktuelle Befunde nähren Hoffnungen auf neuen Therapieansatz
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Da Anti-Amyloid-Strategien bei der Alzheimer-Erkrankung bislang so gut wie erfolglos waren, rücken seit einigen Jahren andere Pathomechanismen als die Amyloid-Genese in den Fokus der Alzheimer-Forscher. Besonderes Interesse haben in den vergangenen Jahren Immunzellen des Gehirns gewonnen - und zwar die Mikrogliazellen. Bei Menschen mit genetischer Veranlagung für Alzheimer beginnen diese Zellen bis zu zwei Jahrzehnte vor dem Auftreten von Symptomen eine schützende Wirkung zu entfalten, wie nun Forscher des DZNE (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) und der Ludwig-Maximilians-Universität München festgestellt haben. „Die therapeutische Modulation der TREM2-abhängigen Mikrogliafunktion könnte eine zusätzliche Strategie zur Verlangsamung des Fortschreitens der Alzheimer-Krankheit darstellen“, so die Wissenschaftler um Christian Haass, Forschungsgruppenleiter am DZNE und Professor für Biochemie an der LMU München. Über die Studien-Befunde haben sie kürzlich im Fachjournal „The Lancet Neurology“ berichtet. Von wirksamen und auch sicheren Therapien für Alzheimer-Kranke sind die Wissenschaftler allerdings noch weit entfernt.
TREM2 spielt eine wichtige Rolle
Schon Alois Alzheimer vermutete, dass Gliazellen eine Rolle bei der Alzheimer-Erkrankung spielen könnten. Genetische Assoziations-Studien haben inzwischen belegt, dass diese Vermutung zutrifft. Eine ganz entscheidende Rolle scheint hierbei der „triggering receptor expressed on myeloid cells“ (TREM2) zu spielen, wie wie Haass und sein Kollege Professor Johannes Levin (DZNE und LMU München) in einem Übersichtsbeitrag zur Alzheimer-Erkrankung berichtet haben.
Mutationen wie TREM2 R47H erhöhten das Alzheimer-Risiko ähnlich dramatisch wie das ApoE4-Allel, erklären die Wissenschaftler. Völlig unerwarteterweise habe man festgestellt, dass TREM2 der zentrale Schalter sei, der es Mikrogliazellen ermögliche, von einem ruhenden Zustand in einen aktivierten zu wechseln. Lange wurde den Autoren zufolge vermutet, dass aktivierte Mikroglia die Neurodegeneration verstärkt und gezielt zum Zelltod beiträgt. Es habe sich aber herausgestellt, dass genau das Gegenteil der Fall sei. Das lege nahe, dass eine gezielte Aktivierung der Mikrogliazellen die Progression der Alzheimer-Erkrankung verlangsamen könnte.
TREM2 „ist ein Rezeptor auf der Oberfläche von Mikroglia, Teile davon können sich jedoch ablösen und sind dann im Nervenwasser nachweisbar. Man weiß aus Laborstudien, insbesondere an Mäusen, aber auch aus unseren vorherigen Studien am Menschen, dass der Spiegel von TREM2 im Nervenwasser ein guter Indikator für die Aktivität der Mikroglia ist. TREM2 ist eine Art Aktivitätsschalter. Mit dem TREM2-Spiegel wächst auch die schützende Aktivität der Mikroglia.“, erläutert dazu Christian Haass. „Lange ist man davon ausgegangen, dass die Mikroglia im Zuge von Alzheimer hauptsächlich Schaden anrichten, da sie chronische Entzündungsprozesse befeuern können. Es mehren sich jedoch die Hinweise dafür, sowohl aus meinem Labor als auch von vielen anderen, dass die Mikroglia zumindest am Anfang der Erkrankung eine Schutzwirkung haben. Diese Vermutung wird durch unsere aktuellen Daten bestärkt."
Für die aktuelle Studie hat nun ein Team um Christian Haass und der Neurologin Dr. Estrella Morenas-Rodríguez analysiert, wie Anzeichen für eine erhöhte Aktivität der Mikroglia mit der Entwicklung bestimmter Biomarker der Alzheimer-Erkrankung zusammenhingen. Hierfür wurden Liquor und kognitive Leistungsfähigkeit von 248 Teilnehmern der DIAN-Studie – sie deckten die verschiedenen Stadien der Alzheimer-Erkrankung ab – über mehrere Jahre hinweg analysiert. Die Probanden der aktuellen Studie wurden außerdem mittels Magnetresonanztomografie (MRT) und Positronen-Emissionstomografie (PET) untersucht, um eine Volumenminderung des Gehirns und die sogenannte Amyloid-Pathologie zu erfassen.
Zur Erinnerung: Etwa ein Prozent der Menschen mit der Alzheimer-Krankheit entwickelt die Erkrankung infolge von Genmutationen, die von Generation zu Generation vererbt werden können. In der internationalen Beobachtungsstudie DIAN (Dominantly Inherited Alzheimer Network) beteiligen sich das DZNE und die LMU München an der Erforschung dieser genetisch bedingten Form der Alzheimer-Erkrankung. Zur Studienkohorte von DIAN zählen außer Erwachsenen mit Genmutationen, die Alzheimer auslösen, auch nahe Verwandte ohne solche Mutationen.
Estrella Morenas-Rodríguez, zum Zeitpunkt der Studie Postdoc-Wissenschaftlerin im Team von Haass und nun Juniorgruppenleiterin am Hospital Universitario 12 de Octubre in Madrid, fügt hinzu: „Ein entscheidender Faktor, der unsere Beobachtungen ermöglichte, und der auch eine Herausforderung darstellte, war, dass wir zum ersten Mal in der Lage waren, den Anstieg des TREM2-Markers longitudinal zu untersuchen. Das heißt, wir haben den Marker in mehreren Proben gemessen, die jeweils von denselben Personen stammten und alle ein oder zwei Jahre entnommen wurden. Damit könnten wir die Entwicklung der verschiedenen Prozesse, die bei der Alzheimer-Krankheit ablaufen, besser erfassen als mit der Untersuchung von Proben zu nur einem einzigen Zeitpunkt.“
Wie die Autoren berichten, konnten sie den Zeitraum bis zum Ausbruch von Symptomen für alle Studienteilnehmer individuell abschätzen. Dabei stießen sie auf frühzeitige Anzeichen einer Erkrankung. „Wir haben festgestellt, dass der TREM2-Wert im Nervenwasser bereits bis zu 21 Jahre vor dem geschätzten Ausbruch der Erkrankung ansteigt“, so Haass. „Außerdem haben wir beobachtet, dass je schneller TREM2 im Laufe der Jahre ansteigt, desto langsamer schreiten im Gehirn krankhafte Prozesse voran, die für Alzheimer typisch sind. Das können wir aus Biomarkern für sogenannte Amyloid-Proteine und Tau-Proteine ableiten.“
Die radiologischen Untersuchungen (MRT und PET) wiesen in ähnliche Richtung: Bei Studienteilnehmern, bei denen der TREM2-Wert rasch anstieg, entwickelten sich die für Alzheimer charakteristischen Ablagerungen von Amyloid-Proteinen langsamer und das Hirnvolumen ging langsamer zurück. „Neben dem Zusammenhang mit einem langsameren pathologischen Prozess war es einer unserer wichtigsten und vielversprechendsten Befunde, dass der schnellere TREM2-Anstieg mit einem langsameren kognitiven Abbau in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit einhergeht.
„Wir sehen unsere Befunde als Beleg dafür, dass die von TREM2-vermittelte Aktivität der Mikroglia eine schützende Wirkung hat“, so Haass. „Nach unserer Ansicht werden die Mikroglia aktiv, sobald sich erste Amyloid-Proteine im Gehirn ablagern. Diesen Vorgang nennt man Seeding. Sie werden also schon in einer extrem frühen Phase der Alzheimer-Erkrankung aktiv, lange bevor Ärzte Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung sehen. Das beobachten wir und unsere Kolleginnen und Kollegen vom DZNE-Standort Tübingen auch im Tiermodell.“
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