Allgemeinmediziner und Onkologen nehmen Stellung zum assistierten Suizid

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften 

Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gekippt. Paragraf 217 Strafgesetzbuch ( StGB) ging den Richtern zu weit. Eine Neuregelung ist laut der Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) bereits absehbar. Da sich Patienten mit Sterbewunsch auch an ihre Hausärztin / an ihren Hausarzt wenden, hat nun die DEGAM eine Stellungnahme dazu veröffentlicht. Eine Stellungnahme hat auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie veröffentlicht

Aus Sicht der Allgemeinmedizin sind laut DEGAM folgende Ziele zu formulieren: 

  • Die Hausarztpraxis ist ein Ort, an dem Sterbewünsche niedrigschwellig thematisiert werden können. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Hausärzten und Patienten kann helfen, auch implizite Sterbewünsche zu
  • erkennen. 
  • Hausärzte müssen Gelegenheit haben, ihre eigenen Wünsche, Werte und
  • Haltungen in Bezug auf ärztliche Assistenz beim Suizid zu reflektieren. Dazu bedarf es strukturierter Angebote in Fort- und Weiterbildung, die wissenschaftlich begleitet werden. Inwieweit jeder Hausarzt bereit ist, Patienten über die primäre Beratung hinaus beim assistierten Suizid zu begleiten, ist eine individuelle und freie Entscheidung. 
  • Die Rahmenbedingungen hausärztlicher Tätigkeit sind so zu gestalten, dass im Praxisbetrieb das komplexe Gespräch Platz hat. Dazu gehört eine Aufwertung der sogenannten sprechenden Hausarztmedizin gegenüber der Einzelleistungsvergütung technisch-apparativer Interventionen. Letzteres setzt Fehlanreize in der Versorgung. Außerdem muss die hausärztliche Perspektive vermehrt in politische Entscheidungsprozesse einbezogen und ihre Stellung im Kontext der gesundheitlichen Versorgung gestärkt werden.
  • Die Beratung der Patienten mit Sterbewünschen sollte ergebnisoffen erfolgen. Der Fokus der Kommunikation zwischen Hausärzten und Patienten wird weniger auf Krankheit und mehr auf das empfundene Leid und mögliche Lebensperspektiven gerichtet. 
  • Insbesondere bei Angst vor Autonomieverlust und Pflegebedürftigkeit müssen sterbewillige Patient:innen davor geschützt werden, Defizite auf gesellschaftlicher Ebene und auf der individuellen Ebene durch Suizid lösen zu wollen. Dies bedeutet u.a. konkret, die Pflege auf sozialer, ökonomischer und struktureller Ebene entsprechend zu gestalten und insgesamt zu stärken.
  • Hausärzte als Lotsen im Gesundheitssystem für Patienten und ihre Angehörigen sind ein essentieller und unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Suizidpräventions-Strategie. Bei allen Überlegungen zur Reglementierung des ärztlich assistierten Suizids und beim Umgang mit Sterbewünschen von Patient:innen muss die hausärztliche Expertise mit einbezogen werden.
  • Die Frage nach der Autonomie psychisch Kranker mit dem Wunsch nach Suizidassistenz sei im Einzelfall mit Psychiatern und Psychologen zu diskutieren. Hierfür seien entsprechende niedrigschwellig erreichbare Netzwerke zu etablieren, heißt es in der Stellungnahme abschließend.

Stellungnahme der Onkologen

Zum Umgang mit Sterbewünschen von Patienten hat sich kürzlich auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) geäußert. In einer Stellungnahme fordert die DGHO eine sachliche Debatte über die Gestaltung einer guten Praxis bei Anfragen nach ärztlich assistierter Selbsttötung. Weiterhin sei ein angemessener rechtlicher Rahmen wichtig, der der Komplexität des Themas Rechnung trage und den Ärztinnen und Ärzten Sicherheit für das praktische Handeln biete. Ausgehend von einer Umfrage unter ihren Mitgliedern und Diskussionen mit Vertreterinnen und Vertretern von Politik und unterschiedlichen Disziplinen hat die Fachgesellschaft empirische Daten zur aktuellen Handhabung und Stellungnahmen zu einer guten Praxis bei Anfragen nach ärztlich assistierter Selbsttötung im 20. Band ihrer „Gesundheitspolitischen Schriftenreihe“ veröffentlicht.

„Als wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaft war und ist es unser Ziel, einen sachlichen und substanziellen Beitrag zu der mitunter sehr emotional geführten Debatte zu leisten. Das Thema betrifft die in der Hämatologie und Onkologie tätigen Ärztinnen und Ärzte sehr konkret. Dabei konnten die Ergebnisse unserer ersten Umfrage im Jahr 2015 eine fachlich äußert reflektierte und dabei gleichzeitig empathische und verantwortungsbewusste Haltung unserer Kolleginnen und Kollegen zeigen“, so Professor Dr. med. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums Würzburg.

Schon seinerzeit habe die Fachgesellschaft deutlich gemacht, dass Gesellschaft und Wissenschaft bei schwersten Erkrankungen und in den Grenzbereichen des Lebens die Verpflichtung haben, das Leiden wo immer möglich so zu lindern, dass Notsituationen nicht auftreten. Einsehe: „Im klinischen Alltag werden wir aber eben auch mit Situationen konfrontiert, in denen Patientinnen und Patienten mit einer unheilbaren Krebserkrankung und einer großen Symptomschwere das Thema der ärztlich assistierten Selbsttötung gegenüber ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten ansprechen. Dass wir diesen Umstand auch gesamtgesellschaftlich nicht ignorieren dürfen, hat uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 erneut deutlich vor Augen geführt. Mit Blick auf die Schaffung eines rechtlichen Rahmens ist es für uns als wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaft besonders wichtig, dass eine gesetzliche Regelung – wie auch immer sie ausgestaltet sein mag – dem komplexen Thema der assistierten Selbsttötung Rechnung tragen muss. Für Ärztinnen und Ärzte braucht es neben Rechtssicherheit immer auch Handlungsspielraum.“

Auch die zweite, im Jahr 2021 durchgeführte Umfrage unter den Mitgliedern der DGHO zeigt, dass die assistierte Selbsttötung bislang ein seltenes Phänomen ist. So gaben lediglich 22 von 745 Befragten an, bereits Assistenz bei der Selbsttötung geleistet zu haben. Allerdings berichteten gleichzeitig 57 Prozent der Umfrageteilnehmenden, dass sie bereits von Patientinnen und Patienten auf das Thema angesprochen wurden. „Auch wenn die assistierte Selbsttötung nur von wenigen Menschen ernstlich in Erwägung gezogen wird, gehen wir davon aus, dass Ärztinnen und Ärzte in der Hämatologie und Onkologie in Zukunft häufiger mit entsprechenden Anfragen konfrontiert werden“, so Professor Dr. med. Jan Schildmann, federführender Autor der Umfrage und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg. Auch vor diesem Hintergrund sei die Entwicklung von Standards guter Praxis in Verbindung mit einem Monitoring sehr wichtig.

DEGAM-Kongress: Patientenzentrierte Versorgung im Mittelpunkt

In der Universitäts- und Hansestadt Greifswald findet übrigens vom 15. bis 17. September 2022 der 56. Kongress der DEGAM statt. Im Mittelpunkt werden Patientenzentrierung, Digitalisierung, Leitlinienarbeit und Klimaschutz stehen. 

Die Programmplanung, die Kongresspräsident Prof. Dr. med. Jean-François Chenot, MPH (Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin, Universitätsmedizin Greifswald) mit seinem Team übernommen hat, steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Patientenzentrierte Versorgung – die Hausarztpraxis im Zentrum der Versorgung“. „Die Patientenbeteiligung haben wir bewusst in den Titel gestellt. Sie ist zentral wichtig für die Hausarzt- und eigentlich für jede Art von Medizin – und damit einer der Schwerpunkte unseres Kongresses“, erklärt Chenot. So umfasst das Programm zahlreiche Beiträge, die sich mit Strategien zur stärkeren Berücksichtigung von Patientenbedürfnissen sowie dem Ausbau von Gesundheitswissen und Partizipativer Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) befassen.