Affenpocken: Die WHO fordert Maßnahmen und Infektiologen prognostizieren weitere Fälle

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert mehrere Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Affenpocken. Es sei „dringend notwendig“, das Bewusstsein für die Erkrankung zu erhöhen, so die Genfer Organisation am Wochenende. Außerdem müssten infizierte Personen ausfindig gemacht und isoliert sowie Ansteckungswege rückverfolgt werden. Die Infektionen, die bisher in Europa, Nordamerika und Australien bekannt wurden, betrafen laut WHO hauptsächlich - aber nicht nur - Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex haben. Wegen der noch eingeschränkten Beobachtungslage sei es sehr wahrscheinlich, dass Fälle in weiteren Bevölkerungsgruppen und Ländern auftauchten.

Die WHO geht derzeit in den westlichen Ländern von rund 90 bestätigten Infektionen und 30 Verdachtsfällen aus. In Deutschland wurden bislang drei Personen mit Affenpocken zweifelsfrei nachgewiesen - ein Fall in München und zwei Fälle in Berlin. Nach den ersten nachgewiesenen Fällen in Deutschland rechnen einem Bericht der "Tagesschau" allerdings Infektiologen mit weiteren Infektionen auch in Deutschland. „Ich bin überzeugt, dass es insgesamt noch weitere Fälle in Deutschland geben wird", sagte Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologischen Klinik des Schwabinger Krankenhauses. Dort ist der Münchner Patient in einem Einzelzimmer mit vorgeschalteter Schleuse untergebracht. 

Sterberate in Deutschland wahrscheinlich unter 1,0 Prozent

„Allgemein geht man davon aus, dass die westafrikanischen Affenpocken eine Sterblichkeit von insgesamt einem Prozent haben, das betrifft vor allem Kinder unter 16 Jahren", sagte Wendtner. „Man muss aber bedenken, dass diese Daten aus Afrika nicht zwingend übertragbar auf das Gesundheitswesen in Europa oder den USA sind, bei uns wäre die Sterblichkeit eher niedriger anzusetzen. Vorsicht sei bei immunsupprimierten Patientengruppen geboten, also solchen mit nur schwachen Abwehrkräften. 

Als ein möglicher Grund für die aktuelle Entwicklung wird der seit Einstellung der weltweiten Impfkampagnen gesunkene Immunschutz gegen Pocken diskutiert. Diese Hypothese ist nicht neu: Virologen vom britischen Unternehmen JKS Bioscience Limited vertraten sie schon 2020 („Vaccine“). Hintergrund dieser Vermutung: Die Erreger der humanen Pocken und der Affenpocken sind eng miteinander verwandt; daher schützt die Pocken-Impfung gegen beide. Schätzungen zufolge sind laut den Autoren jedoch etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung nicht mehr gegen Pocken geschützt – und daher auch nicht mehr gegen Affenpocken.

Gestärkt wird die Hypothese durch eine aktuelle Publikation im Fachmagazin „Plos Neglected Tropical Diseases“. Danach sei die Zahl der Affenpocken-Infektionen bei Menschen seit den 1970er-Jahren bis in die Jahre 2010 bis 2019 mindestens um den Faktor 10 gestiegen. Die Affenpocken entwickelten sich zu einer Erkrankung von „globaler Relevanz“, so das Team um Erstautorin Dr. Eveline Bunge (Pallas Health Research and Consultancy, Rotterdam).

Basisinformationen vom Robert-Koch-Institut

Affenpocken sind, wie berichtet, eine seltene, von Tieren, vermutlich vor allem Nagetieren, auf Menschen übertragbare Viruserkrankung. Übertragungen von Mensch zu Mensch sind laut Robert-Koch-Institut selten, aber möglich, vor allem bei engem Kontakt. Affenpockenviren (Monkeypox virus, Genus Orthopoxvirus) sind in West- und Zentralafrika bei Nagetieren (Affen sind Fehlwirte) verbreitet. Bei Menschen wurden  Affenpocken erstmals 1970 in der Demokratischen Republik Kongo identifiziert. Seitdem wurden humane Fälle von Affenpocken insbesondere in west- und zentralafrikanischen Ländern gemeldet. Zentralafrikanische Virusvarianten sind nach Angaben des Berliner Instituts deutlich virulenter als die westafrikanischen Virusvarianten. 

Auch außerhalb des afrikanischen Kontinents wurden in der Vergangenheit einzelne insbesondere aus Nigeria importierte Fälle von Affenpocken nachgewiesen, nach Informationen der WHO zuletzt beispielsweise in Großbritannien (2022 und 2018), in den USA (2021), Singapur (2019) und Israel (2018). Darüber hinaus seien im Mai 2022 in verschiedenen Ländern außerhalb Afrikas einige Fälle ohne Reiseanamnese in Endemiegebiete registriert worden.

Menschen könnten sich vor allem durch Kontakt mit den Hauteffloreszenzen, Blut, Gewebe oder Ausscheidungen infizierter Tiere (in erster Linie verschiedener Nagetiere) und beim Umgang mit dem Fleisch erkrankter Tiere infizieren. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch sei selten und nur bei engem Kontakt möglich, könne aber durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten oder Schorf der Affenpocken-Infizierten auftreten, vermutlich auch bei sexuellen Handlungen. Eine Übertragung bereits in der Prodromalphase sei bei Face-to-Face-Kontakt durch ausgeschiedene Atemwegssekrete möglich. 

Bei Menschen meist milde Verläufe

Die Inkubationszeit für Affenpocken beträgt laut RKI zwischen 7 und 21 Tagen. Erste Symptome seien Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen und geschwollene Lymphknoten. Einige Tage nach dem Auftreten von Fieber entwickelten sich Hauteffloreszenzen, Sie beginnen dem Institut zufolge häufig im Gesicht und breiten sich dann auf andere Körperteile aus. Insbesondere bei einigen aktuell (Mai 2022) gemeldeten Fällen wurde auch ein Beginn der Effloreszenzen im Urogenital-Bereich berichtet. Im Gegensatz zu den seit 1980 ausgerotteten Menschenpocken verlaufen Affenpocken jedoch in der Regel deutlich milder; die meisten Menschen erholen sich innerhalb von mehreren Wochen. Insgesamt ist die Prognose daher als günstig zu bewerten, allerdings können bei einigen Betroffenen auch schwere Verläufe auftreten. Bei Kindern unter 16 Jahren, die mit der zentralafrikanischen Virusvariante infiziert sind, beobachtet man eine Letalität von bis zu elf Prozent. Die Therapie sei in erster Linie symptomatisch und supportiv; wichtig sei das Verhindern bakterieller Superinfektionen. Ein zur Behandlung von Orthopockenvirus-Infektionen entwickeltes Arzneimittel wurde kürzlich in der EU auch zur Behandlung der Affenpocken zugelassen (Tecovirimat).