Adipositas-Therapie: Neue Medikamente wecken wohl berechtigte Hoffnungen
- Dr. med. Thomas Kron
- Konferenzberichte by Medscape
Von Nadine Eckert
Die Pharmakotherapie der Adipositas hat in Deutschland ein schlechtes Image. „Selbst recht wirksame Medikamente wie der GLP-1-Rezeptoragonist Liraglutid werden nur von einigen 1000 Menschen genommen“, berichtete Prof. Dr. Matthias Blüher, Mitglied im Vorstand der Deutschen Adipositas Gesellschaft, beim Diabetes Kongress in Berlin. Potentere GLP-1-Rezeptoragonisten sowie duale und gar 3-fache Inkretin-Agonisten könnten die Situation verändern.
Für die medikamentöse Therapie der Adipositas stehen in Deutschland bereits einige Optionen zur Verfügung. Der Lipasehemmer Orlistat, das Kombinationspräparat Naltrexon/Buproprion sowie die GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid und – seit kurzem – Semaglutid sind zugelassen, müssen aber von Patienten selbst bezahlt werden.
Adipositas-Medikamente werden sozialrechtlich mit Potenzmitteln gleichgestellt
„Das Sozialgesetzbuch stellt Medikamente zur Therapie der Adipositas immer noch gleich mit Mitteln zur Potenzsteigerung und zur Förderung des Haarwuchses und verbietet die Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung“, kritisierte Blüher. Und dass die verfügbaren Medikamente nur eine moderate Wirksamkeit versprächen, lasse viele Patienten davor zurückschrecken, die Kosten selbst zu übernehmen.
Mit der klassischen Kombination aus Ernährung, Bewegung und Verhaltensänderung lässt sich im Schnitt ein Gewichtsverlust von 3-5% erzielen. Mit den zugelassenen Medikamenten sind es weitere 3-6%. Bislang seien Ärzte in der Adipositas-Therapie gezwungen, „aus der Not eine Tugend zu machen, indem wir die Patienten darauf hinweisen, dass sich auch mit 5-10% Gewichtsreduktion erhebliche gesundheitliche Vorteile erreichen lassen“, so Blüher.
Nur die Pharmakotherapie wäre skalierbar
Von den Effekten chirurgischer Interventionen sind pharmakologische Therapien noch weit entfernt. „Aber nicht jeder Adipositas-Patient möchte sich operieren lassen“, betonte Blüher. Bei theoretisch etwa 1 Million Menschen mit einer OP-Indikation in Deutschland seien die chirurgischen Kapazitäten dafür auch gar nicht ausreichend.
Die Pharmakotherapie bleibt ein extrem wichtiger Baustein bei der Behandlung der Adipositas, denn: „Sie ist die einzige skalierbare Therapie; Medikamente könnte man theoretisch jedem Betroffenen verschreiben – wenn sie von den Krankenkassen bezahlt würden“, so der Experte weiter.
Annäherung an Effektstärken chirurgischer Interventionen
Das sich hier auch politisch dringend etwas ändern muss, liegt auf der Hand. Blüher geht davon aus, dass die zunehmend besser wirksamen Medikamente hier ein wichtiges Argument sein werden. Am potentesten ist das erst kürzlich zugelassene Semaglutid. Und mit Liraglutid konnte in den SCALE-Studien – nach vorangegangener Formula-Diät – eine Gesamtgewichtsreduktion von 12% erreicht werden.
Das STEP-Studienprogramm zeigte, dass Semaglutid etwa doppelt so potent in der Gewichtsreduktion ist wie Liraglutid. In STEP 1 nahmen Probanden unter Semaglutid im Mittel mehr als 16% ab. „Das bringt uns schon etwas näher an die chirurgische Effektstärke“, so Blüher.
Was für die Praxis ebenfalls Mut mache sie, dass es etwa jeder 3. geschafft habe, mit Semaglutid mehr als 20% abzunehmen. „Das erreicht man zum Beispiel mit einem Magenband, sagte der Internist und ergänzt: „Damit könnte man den ein oder anderen Patienten vor der chirurgischen Therapie bewahren.“
Medikamentöse Adipositas-Therapie ein Leben lang…
Allerdings, betonte er, müsse man sich im Klaren darüber sein, „dass es sich dabei im Idealfall um eine lebenslange Therapie handelt“. Langzeit-Daten zu Liraglutid zeigen, dass die Gewichtsreduktion schnell ein Plateau erreicht und das Gewicht auch rasch wieder ansteigt, wenn das Medikament abgesetzt wird.
„Viele Patienten setzen Liraglutid ab, wenn sie einen gewissen Gewichtsverlust erreicht haben“, sagte Blüher. „Aber die Adipositas-Therapie unterschiedet sich hier aber nicht von der Behandlung des Typ-2-Diabetes oder des Bluthochdrucks. Sie wirkt nur, wenn man sie nimmt.“
Ein Silberstreif am Horizont
Trotz zahlreicher Hindernisse blickt Blüher optimistisch in die Zukunft, denn es gelinge immer besser, die hormonellen Veränderungen, die durch eine chirurgische Behandlung der Adipositas erreicht werden, zu imitieren.
Tatsächlich scheint die Erfolgsgeschichte noch nicht am Ende angelangt zu sein. Vor 2 Wochen wurde der duale GLP-1-/GIP-Rezeptoragonist Tirzepatid in den USA zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen. Und auch wenn eine Zulassung für die Adipositas-Therapie noch aussteht, sind die Studiendaten vielversprechend.
Prof. Dr. Matthias Tschöp, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz Zentrums München, berichtete beim Diabetes Kongress, dass sich mit dem dualen Agonisten eine Gewichtsabnahme von bis zu 23% erreichen lasse. Mehr als 60% der Probanden erreichten in der Studie SURMOUNT-1 das Abnahmeziel von -20%.
Was die Nebenwirkungen angehe, scheine es „keine wesentlichen Unterschiede zwischen dualen und Monoagonisten zu geben“, ergänzte Tschöp. Dafür deuten ersten Daten darauf hin, dass Tirzepatid auch bei der Reduktion des kardiovaskulären Risikos besser sein könnte als der bislang potenteste Monoagonist Semaglutid.
Die Zukunft liegt bei dualen und bei Triple-Agonisten
„Das passt zu Daten aus unserem Labor, wo wir mit einem GIP-Rezeptoragonisten Dyslipidämie und Atherosklerose bei Mäusen verbessern konnten“, berichtete Tschöp. „GIP scheint etwas zu machen, was GLP1 nicht erreichen kann und was direkt einen Schutz vor Atherosklerose bewirkt.“
Wenn man mit 2 solcher Substanzen Synergie erreicht, stellt sich natürlich die Frage, was mit 3 Wirkstoffen möglich wäre: „Wir haben viele Jahre versucht, einen Triple-Agonisten herzustellen, der tatsächlich an allen 3 Rezeptoren – auch am Glucagonrezeptor – wirkt“, sagte Tschöp, der als einer der Entdecker des Therapieprinzips der dualen Inkretin-Koagonisten gilt.
Mittlerweile sei dies gelungen, und der Triple-Agonist habe in präklinischen Studien „noch nie dagewesene Effekte“ auf Körpergewicht, Nahrungsaufnahme, Fettmasse, Glukose, Insulin und Cholesterin gezeigt. „Er war fast nochmal doppelt so gut wie der duale Agonist, mit dem wir ihn verglichen haben“, so Tschöp.
Noch unveröffentlichte Daten aus einer Phase-Ib-Studie deuteten darauf hin, dass sich diese Effekte auf Menschen übertragen lassen. „Ich glaube, dass die Zukunft der Adipositas- und der Typ-2-Diabetes-Therapie bei den dualen und Triple-Agonisten liegen wird. Monoagonisten werden irgendwann nicht mehr werden mithalten können.“
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