ADA 2022 – Ist die Reduktion von krankhaftem Übergewicht das primäre Therapieziel bei Typ-2-Diabetes?

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In einer interessanten Diskussionsveranstaltung bei den 82nd Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA) debattierten Ildiko Lingvay, MD, MPH, MSCS und Jeffrey Mechanick, MD, darüber, ob sich die Behandlung von Typ-2-Diabetes (T2D) auf die Gewichtsreduktion oder die glykämische Kontrolle konzentrieren sollte.

Ildiko Lingvay (University of Texas Southwestern Medical Center, Dallas, Texas)

Dr. Lingvay erinnert das Publikum zunächst daran, dass der Body-Mass-Index (BMI) ein schlechtes Maß für krankhaftes Übergewicht ist. Sie befürwortet die Verwendung des alternativen Begriffs „Adiposität“, der durch starkes Übergewicht und die abnormale Verteilung und Funktion dieses Gewichts gekennzeichnet ist. Adiposität summiert sich zu den beiden Diabetes-verursachenden Defekten: Insulinresistenz und β-Zell-Dekompensation, die durch Faktoren wie Schlafstörungen und Inaktivität weiter verstärkt werden.

Das „Diabetes Prevention Program“ zeigte, dass jedes Kilogramm weniger das Risiko für Diabetes um 16 % reduziert, während zahlreiche Studien die Bedeutung einer Gewichtsreduktion um ≥ 10 % herausgestellt haben, um eine Remissionsrate von > 50 % bei Patienten mit kurzem T2D-Verlauf zu erreichen. Die Studie DiRECT zeigte eine lineare Beziehung zwischen dem Grad der Gewichtsreduktion und dem Prozentsatz der Remission, mit einer um 32 % erhöhten Remissionswahrscheinlichkeit für jedes Kilogramm weniger am Ende eines Jahres. Darüber hinaus wird das Konzept, dass die glykämischen Ergebnisse umso besser sind, je größer die Gewichtsreduktion sind, durch immer mehr Daten bestätigt.

Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse einer 10-jährigen Nachbeobachtungsstudie, die die Überlegenheit der bariatrischen Chirurgie (~ 30 %) gegenüber der medikamentösen Therapie (5–10 %) hinsichtlich des Erreichens einer dauerhaften Gewichtsreduktion und eines niedrigeren Spiegels des glykierten Hämoglobins (HbA1c) zeigte, erklärt Dr. Lingvay erstere als die wirksamste, jedoch nicht ausreichend angewendete Intervention zur Gewichtsreduktion. Sie betont jedoch auch, dass die Dauerhaftigkeit der Gewichtsreduktion entscheidend ist, und nicht die angewandte Technik. Darüber hinaus kann bei den meisten Patienten mit einer Gewichtsreduktion von 15 % eine Remission Adipositäts-bedingter Erkrankungen erreicht werden.

Durch die Verlagerung des Fokus von der Operation auf neue Pharmakotherapien wurde bei 45,6 % der Patienten mit dem neuen pharmakologischen Wirkstoff Semaglutid (2,4 mg) eine Gewichtsreduktion um ≥ 10 % erreicht, während das kürzlich eingeführte Tirzepatid (15 mg) nach 52 Wochen zu einer Gewichtsreduktion von 13,9 % führte, gemeinsam mit einer optimalen Verbesserung des HbA1c-Werts. Die Phase-III-Analyse von 2,4 mg Semaglutid in Kombination mit 2,4 mg Cagrilintid ergab vielversprechende Ergebnisse: eine Gewichtsreduktion um 17 % nach 20 Wochen.

Bemerkenswert ist, dass Dr. Lingvay zwar während ihres gesamten Vortrags die Gewichtsreduktion als primäres Ziel der T2D-Behandlung herausstellt, jedoch in keiner Weise die Tatsache unterschlägt, dass es zusätzliche Ziele gibt, die gleichzeitig optimiert werden sollten. Sie kommt zu dem Schluss, dass Gewichtsreduktion tatsächlich einen ganzheitlichen Ansatz darstellt, da damit die Pathophysiologie der Erkrankung behandelt wird, was zu einer glykämischen Verbesserung und sogar zu einer Remission führt und gleichzeitig diabetesbedingte Komplikationen minimiert werden.

Jeffrey Mechanick (Mount Sinai School of Medicine, New York)

Dr. Mechanick spricht sich gegen diese Denkweise aus, indem er sein Argument vorbringt, dass sich die primären Ziele nicht gegenseitig ausschließen müssen, und, wie mehrere frühere Berichte belegen, die meisten Krankheitszustände für eine effektive Therapie eine Kombination von Zielen erfordern. Er stimmt Dr. Lingvay zu, dass krankhaftes Übergewicht aufgrund der starken Korrelation mit dem BMI ein falscher Begriff ist, hebt jedoch in der Gegenargumention auffällige Schwachstellen hervor:

  • Nicht alle T2D-Patienten sind krankhaft übergewichtig: Tatsächlich lag nur bei 65 % der T2D-Patienten aus der NHANES-Studie krankhaftes Übergewicht vor.
  • Durch krankhaftes Übergewicht ausgelöste unerwünschte metabolische Effekte werden durch Insulinresistenz vermittelt, was zu kardiometabolischen chronischen Erkrankungen führt, die eine umfassende Versorgung und nicht nur eine Diabetesversorgung erfordern.
  • Die Reduzierung von krankhaftem Übergewicht und Hyperglykämie schließen sich als Ziele bei der kardiometabolischen Prävention nicht gegenseitig aus.
  • Es gibt keine Beweise dafür, dass die Gewichtskontrolle bei der T2D-Versorgung gegenüber der Glukosekontrolle eine überlegene Rolle einnimmt, wobei einige Studien sogar zeigen, dass Letztere wirksamer ist.

Darüber hinaus schlägt Dr. Mechanick vor, dass bei T2D-Patienten mit schwerer Hyperglykämie im Adipositäts-basierten chronischen Krankheitsstadium 1 > 2 > 3 und im kardiometabolischen chronischen Krankheitsstadium 4 > 3 > 2 > 1 die Reduktion der Hyperglykämie gegenüber der von krankhaftem Übergewicht priorisiert werden sollte.

Krankhaftes Übergewicht (BMI > 25 kg/m2) ist mit einer schlechteren glykämischen Kontrolle assoziiert, was wiederum mit einer hohen Inzidenz von mikrovaskulären Komplikationen wie Polyneuropathie und Retinopathie assoziiert ist.

Dr. Mechanick zeigt Daten aus Fallstudien, die für einen Zusammenhang zwischen der Glukosekontrolle bei T2D-Patienten mit signifikanter Hyperglykämie und dem geringeren Auftreten mikrovaskulärer und kardiovaskulärer Komplikationen sprechen. Bei einem 40-jährigen Mann mit einem bewegungsarmen Lebensstil, schlechten Ernährungsgewohnheiten, einem BMI von 23 kg/m2, HbA1c-Werten von 11 %, signifikanter kardiovaskulärer Erkrankung, unkontrollierter Hypertonie, einem Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin(LDL-C)-Wert von 140 und einer Statinunverträglichkeit dienten nicht die Gewichtskontrolle, sondern die Blutzucker- und LDL-C-Kontrolle als primäre Ziele.

Dr. Mechanick kommt zu dem Schluss, dass die Glukosekontrolle eines der wenigen wesentlichen primären Ziele der T2D-Behandlung ist, alleine aber nicht ausreicht. Andere primäre Ziele wie Adiposität und Dysglykämie sollten bei der Betrachtung individueller Faktoren und relativer Risiken im Mittelpunkt stehen, und zwar ebenfalls gleichzeitig und nicht notwendigerweise nacheinander.