Ist nach der Pandemie vor der Pandemie?

  • Dr. med.Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Klimawandel und Umweltprobleme werden zunehmend zur Gefahr für die Gesundheit der Menschen. Ein Beratergremium der Bundesregierung fordert daher jetzt in einem Gutachten Gutachten ("Gesund leben auf einer gesunden Erde") ein "fundamentales Umdenken". Umweltprobleme würden zunehmend zur Gefahr für die Gesundheit der Menschen. Die neun Mitglieder des Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) mahnen: "Wir sind auf dem besten Weg, die Voraussetzungen eines gesunden Lebens für Arten und Menschen weiter zu zerstören. Außer Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung werde vor allem die Erderwärmung zunehmend zum Problem, sagt Professorin Sabine Schlacke, Co-Vorsitzende des WBGU und Professorin für Umweltrecht an der Universität Greifswald.

Im Fokus das West-Nil-Virus

Fast schon gebetsmühlenartig, aber zu Recht, warnen unter anderen Infektiologen vor der weiteren Verbreitung von Infektionserregern und der Zunahme von Infektionskrankheiten. Zu den infektiösen "Problemen" zählt unter anderen das West-Nil-Virus (WNV).

In Deutschland breite sich das West-Nil-Virus aus, mahnte etwa der Berliner Virologe Professor Christian Drosten. "Die Zahl der Stechmücken, die das Virus mit sich tragen, scheint aktuell zu steigen", sagte er Medien-Berichten zufolge. Die Mücken kämen inzwischen in Berlin und in weiten Teilen Ostdeutschlands vor. In den vergangenen Jahren habe es bereits erste Krankheitsfälle in Berlin gegeben.

Vor einer Zunahme von Krankheitserregern wie dem WNV warnen auch die Autoren des Sachstandsberichts "Klimawandel und Gesundheit" unter Federführung des Robert-Koch-Instituts. Während in Deutschland auch einige minderpathogene oder epidemiologisch vernachlässigbare Stechmücken-assoziierte Viren zirkulieren, wie z. B. das Sindbis-, das Batai- oder das Usutu-Virus, sei das neu aufgetretene WNV von relevanter Bedeutung für die öffentliche Gesundheit.

Das WNV gehrt nach Angaben der RKI-Wissenschaftler zur Familie Flaviviridae und wurde erstmals 1937 aus einem Patienten in Uganda isoliert. Seit den 1950er- Jahren wurde es in vielen europäischen Ländern in Stechmücken, Vögeln und Menschen nachgewiesen. Hauptüberträger des WNV auf Säuger seien bestimmte wirtsunspezifische Varianten der Gemeinen Hausmücke Cx. Pipiens. Säuger selbst seien jedoch keine WNV-Infektionsquellen für Stechmücken, da die Virämien zu gering für eine Weitergabe des Virus an Stechmücken seien.

Das erste Mal mit schweren humanen Erkrankungen und Todesfällen in Europa einhergegangen sei ein Ausbruch in Rumänien im Jahr 1996. In den letzten zwanzig Jahren sei es dann zu vermehrten Epidemien auf fast allen Kontinenten gekommen.

Ausbreitung des Virus auch in Deutschland

Im Hitzesommer 2018 habe Europa dann den bisher größten registrierten WNV-Ausbruch mit mehr als 1600 Fällen erlebt, darunter 166 Todesfälle.  Erste in Deutschland durch Mücken übertragene Infektionen von West-Nil-Fieber wurden laut RKI im Spätsommer 2019 bekannt (insgesamt 5 Infektionen). Auch in den darauffolgenden Jahren (Sommer und Herbst) seien Infektionen in Ostdeutschland berichtet worden (2020: 22 Infektionen; 2021: 4 Infektionen; 2022: 17 Infektionen). Da nur ein kleiner Teil der Infizierten Symptome zeige und nur etwa einer von 100 Infizierten schwer erkranke, ist nach Angaben des Berliner Instituts davon auszugehen, dass es weitere nicht-diagnostizierte Infektionen gebe.

Das Vorkommen von WNV-Erkrankungsfällen über mehrere Jahre zeige, dass das WNV auch in Deutschland überwintere und im Sommer ausreichend günstige klimatische Bedingungen vorfinde. Es sei damit zu rechnen, dass sich WNV in Deutschland weiter etabliere und es in den kommenden Jahren insbesondere in den schon bestehenden Gebieten, aber vielleicht auch in weiteren Gebieten, zu einem saisonalen Vorkommen von WNV-Erkrankungsfällen kommen werde.

Oft keine oder kaum Symptome

Infektionen mit dem WNV verlaufen laut RKI überwiegend klinisch unauffällig. Etwa jeder fünfte Infizierte entwickele eine fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung, die etwa 3 bis 6 Tage andauere. Die Inkubationszeit betrage 2 bis 14 Tage. Der Krankheitsbeginn sei abrupt mit Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Rückenschmerzen, Abgeschlagenheit und Lymphknotenschwellungen. Bei etwa 50 Prozent dieser Erkrankten finde man ein blasses, makulopapulöses Exanthem, das sich vom Stamm zum Kopf und zu den Gliedmaßen ausbreite.

Nur etwa jede 100. infizierte Person erkranke schwer an einer neuroinvasiven Form der Erkrankung. Bei einem Teil dieser Patienten trete eine zumeist gutartige Meningitis auf. Eine Enzephalitis könne vorkommen, sei aber selten. Mögliche Symptome seien dann mentale Veränderungen, Muskelschwäche, schlaffe Lähmungen, Ataxie, extrapyramidale Symptome, Optikusneuritis und Veränderungen der anderen Hirnnerven, Polyradikulitis und epileptische Anfälle. Entzündungen des Herzens oder der Leber seien selten beobachtet worden.

Nur symptomatische Therapie und keine Impfung 

Behandelt werden Patienten mit West-Nil-Fieber symptomatisch. Eine spezifische antivirale Therapie gibt es nicht. Möglich ist eine Prophylaxe. Besonders Personen, die aufgrund hohen Alters oder Immunschwäche ein erhöhtes Risiko haben, schwer zu erkranken, könnten das Risiko durch herkömmlichen Schutz vor Mückenstichen reduzieren. Ein Impfstoff ist bislang nicht verfügbar.

Impfstoff-Entwicklung: Hürden, aber nicht unüberwindbare

Für die Veterinärmedizin gebe es zwar mehrere zugelassene Impfstoffe; die WNV-Impfstoffe für Menschen seien dagegen nicht über die klinischen Studien der Phase 1 oder 2 hinausgekommen, erklären die US-Infektiologin Dr. Carolyn V. Gould (Division of Vector-Borne Diseases, Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Fort Collins, Colorado) und weitere Spezialisten im "New England Journal of Medicine"

Klinische Studien mit Menschen wurden laut Gould und ihren Kollegen mit mehreren Impfstoffkandidaten durchgeführt. Alle seien mit minimalen unerwünschten Ereignissen verbunden gewesen, und die meisten hätten eine günstige Immunogenität gezeigt, obwohl der inaktivierte Virusimpfstoff nur mäßige Immunreaktionen hervorgerufen habe.

Mehrere Faktoren hätten jedoch verhindert, dass WNV-Impfstoffe in spätere Phasen der klinischen Entwicklung gelangt seien, darunter Herausforderungen bei der Konzeption und Durchführung von Wirksamkeitsstudien, potenzielle Sicherheitsbedenken und auch die zu erwartenden Kosten für WNV-Impfprogramme.

So seien große Phase-3-Studie erforderlich, um die Wirksamkeit nachzuweisen, erklären die US-Wissenschaftler. Aufgrund der sporadischen und unvorhersehbaren Ausbrüche von WNV-Erkrankungen sei es jedoch schwierig, geografische Gebiete auszuwählen und Impfstoff-Wirksamkeitsstudien vorzubereiten, bevor WNV-Aktivitäten während einer bestimmten Saison festgestellt würden. Hinzu komme, dass schwere Erkrankungen vor allem bei einer Subgruppe der Bevölkerung beobachtet würden (bei Personen ab 50 Jahren oder bei Personen mit bestimmten Grunderkrankungen). Wenn die Fallzahlen in den für klinische Studien ausgewählten Gebieten niedrig seien, könne es Jahre dauern, bis die Rekrutierung abgeschlossen sei. Die Endpunkte einer Studie, z. B. die Verhinderung neuroinvasiver Erkrankungen, die Verhinderung aller Erkrankungen oder die Verhinderung von Infektionen, wirkten sich ebenfalls auf die Machbarkeit der Studien aus. Die Verhinderung von Infektionen etwa wäre schwierig zu messen, da die Virämie nur von kurzer Dauer sei und die Messung der WNV-spezifischen Antikörper zwischen einer durch den Impfstoff und einer durch die Infektion hervorgerufenen Immunität unterscheiden müsste.

Bedenken wurden, wie die Autoren weitere erklären, auch hinsichtlich der Impfstoff-Sicherheit geäußert, insbesondere bei Impfstoff-Kandidaten mit abgeschwächten Lebendviren. Schließlich seien auch die mit WNV-Impfprogrammen verbundenen Kosten als potenzielles Hindernis für die Entwicklung von Impfstoffen angeführt worden. 

Die Herausforderungen bei der Entwicklung eines WNV-Impfstoffs seien aber nicht einzigartig und könnten mit ähnlichen Ansätzen wie bei anderen Impfstoffen angegangen werden, argumentieren die US-Infektiologen. So könnten, um nur ein Beispiel zu nennen, in Anbetracht der Unvorhersehbarkeit von Ausbrüchen andere Zulassungswege unter Verwendung von Surrogat-Endpunkten und immunologischen Markern in Betracht gezogen werden.